Umsatzsteuer Newsletter 34/2013
Erneute EuGH-Vorlage zu Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen
Wann können Kranken- und Altenpfleger als „anerkannte Einrichtung mit sozialem Charakter“ im Sinne der MwStSystRL bezeichnet werden? Diese und andere Fragen hat der BFH dem EuGH vorgelegt. Sofern sich der EuGH der Ansicht des BFH anschließt, dürfen Umsätze von selbständig tätigen Kranken- und Altenpflegern zukünftig steuerfrei behandelt werden.


1. Vorlagebeschluss des BFH v. 21.08.2013

Der BFH hat dem EuGH mit Beschluss vom 21.08.2013 (V R 20/12) verschiedene Fragen zur Auslegung der Steuerbefreiungsnorm des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwSt­SystRL vorgelegt. Im Kern geht es dabei um die Auslegung des Begriffs„Einrichtung mit sozialem Charakter“.

Im Streitfallüberließ die Klägerin als Zeitarbeitsfirma bei ihr angestellte Pflegefachkräfte (Krankenpfleger, Krankenschwestern, Altenpfleger) an andere Pflegeeinrichtungen i. S. von § 4 Nr. 16 des UStG 2005. Die Arbeitnehmer der Klägerin waren organisatorisch in die jeweilige Pflegeeinrichtung eingegliedert. Sie waren insoweit weisungsgebunden. Die Dienst- und Fachaufsicht über die Tätigkeit der Leiharbeitnehmer/-innen oblag ebenfalls der betreffenden Pflegeeinrichtung. Das Finanzamt sah die Voraussetzung der Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k UStG nicht für gegeben an.

Der BFH hat in seinem Vorlagebeschluss u. a. darauf hingewiesen, dass nach dem Gesetz über die Berufe in der Krankenpflege (KrPflG) grundsätzlich nur solche Personen die Berufsbezeichnung„Krankenpfleger“ führen dürfen, die eine gesetzlich vorgeschriebene Ausbildungszeit abgeleistet und die staatliche Prüfung bestanden haben. Außerdem war dem BFH der Hinweis wichtig, dass nach dem Gesetz über die Berufe in der Altenpflege (AltPflG) sich nur derjenige als Altenpfleger bezeichnen darf, der die gesetzliche Ausbildungszeit abgeleistet und die vorgeschriebene Prüfung bestanden hat.

Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten von der Steuer „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden.“

Der BFH will vom EuGH nun wissen, ob die Steuerbefreiungsnorm auch für staatlich geprüfte Pflegekräfte greift, die ihre Leistungen zwar unmittelbar an Pflegebedürftige erbringen, nicht aber gegenüber Sozial- und Pflegekassen tätig werden. Im Kern geht es also um die Frage, ob auch solche Pflegekräfte als Einrichtungen mit sozialem Charakter anzuerkennen sind. In einer zweiten Frage will der BFH erfahren, ob auch eine Zeitarbeitsfirma, die staatlich geprüfte Pflegekräfte überlässt, ihre Leistungen steuerfrei erbringen kann.

2. Kontext der Entscheidung

Eigentlich dachte man, dass mit dem kürzlich ergangenen Urteil des EuGH in der Rs. Zimmermann (EuGH, Urt. v. 15.11.2012, C-174/11) die meisten Fragen betreffend die Steuerbefreiung von Betreuungs- und Pflegeleistungen geklärt sind. Der EuGH hatte festgestellt, dass es grundsätzlich Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedsstaats ist, die Regeln aufzustellen, nach denen Einrichtungen eine soziale Anerkennung gewährt werden kann. Seit dieser Entscheidung war klar, dass die nationale Regelung des § 4 Nr. 16 UStG nicht richtlinienkonform ist.

Dies hat der BFH erst kürzlich bestätigt und mit Urteil vom 25.04.2013 (V R 7/11; vgl. dazu auch Newsletter 22/2013) entschieden, dass sich Berufsbetreuer unmittelbar auf das für sie günstigere Unionsrecht berufen können. Der BFH hatte festgestellt, dass eine Einrichtung mit sozialem Charakter im Sinne des Unionsrechts vorliegt, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen:

  • Bestehen spezifischer Vorschriften,
  • Vorliegen eines mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundenen Gemeinwohlinteresses,
  • Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung gekommen sind sowie
  • Kostenübernahme durch andere Einrichtung der sozialen Sicherheit.

Mit diesem Urteil stand fest, dass auch natürliche Personen als Einrichtung mit sozialem Charakter qualifiziert werden können.

Fraglich ist nun aber, ob der nationale Gesetzgeber sein Ermessen dadurch fehlerhaft ausgeübt hat, dass Berufsregelungen für Pflegeberufe für die Anerkennung unerheblich sind. So sind nach nationalem Recht z. B. Gesundheits- und Krankenpfleger i. S. des KrPflG nicht als Einrichtung anerkannt, während ein Gesundheits-und Krankenpfleger, der einen Versorgungsvertrag mit den Pflegekassen i. S. d. § 72 SGB XI abgeschlossen hat, als anerkannt angesehen wird.

Interessant ist aber auch die zweite Vorlagefrage, mit der der BFH wissen will, ob sich auch ein Unternehmer auf die Steuerbefreiungsnorm berufen kann, der Pflegekräfte entgeltlich an eine Pflegeeinrichtung überlässt. Der BFH hat auch dafür eine gewisse Sympathie, da der EuGH bereits in der Vergangenheit die Steuerbefreiung auf die Gestellung von Personal ausgedehnt hat. Dies geschah mit dem Hinweis, dass es sich um eine eng verbundene Dienstleistung handelt (z. B. EuGH, Urt. v. 14.06.2007, C-445/05, Haderer).

3. Handlungsempfehlungen für die Praxis

Sofern der EuGH diese beiden Fragen bejaht, kommt es für die Gewährung der Steuerbefreiung von Pflegeleistungen letztendlich auf den Inhalt der Tätigkeit an. Die Steuerbefreiung ist dabei nicht nur staatlich geprüften Pflegekräften zu gewähren, sondern auch Unternehmen, die solches Personal überlassen. Die Veranlagungen sollten mit Hinweis auf diese EuGH-Vorlage offen gehalten werden.

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Thomas Küffner
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer
Tel.: 089 / 217 50 12 - 30
thomas.kueffner@kmlz.de

Stand: 13.12.2013