Umsatzsteuer Newsletter 20/2023
EuGH: Umsatzsteuerrechtliche Behandlung des Aufladens von Elektrofahrzeugen (E-Charging)
Endlich ein wenig mehr Rechtssicherheit beim E-Charging: Der EuGH behandelt die komplexe Leistung bestehend aus Ladevorgang und Dienstleistungselementen umsatzsteuerrechtlich als Lieferung. Einige Fragen bleiben dennoch offen, insbesondere in den Konstellationen einer Leistungskette.
1 Hintergrund
Bislang war die umsatzsteuerrechtliche Behandlung des E-Charging umstritten. Lediglich der Mehrwertsteuerausschuss der Europäischen Kommission hatte sich bisher mit dieser Frage beschäftigt (vgl. KMLZ Umsatzsteuer Newsletter 27 | 2019 und 33 | 2021). Der Mehrwertsteuerausschuss kann jedoch keine rechtsverbindlichen Entscheidungen treffen. Umso erfreulicher ist das EuGH-Urteil vom 20.04.2023 (Rs. C-282/22), welches das E-Charging umsatzsteuerrechtlich einordnet.
 
2 Sachverhalt
Die Klägerin errichtet und betreibt öffentlich zugängliche Ladestationen für Elektrofahrzeuge. Dabei kann die bei jedem Ladevorgang erbrachte Leistung, je nach konkretem Bedarf des Nutzers, auch folgende Umsätze mitumfassen: Bereitstellung von Ladevorrichtungen (einschließlich der Verbindung des Ladegeräts mit dem Betriebssystem des Fahrzeugs), Übertragung von Elektrizität mit entsprechend angepassten Parametern an die Batterie des Elektrofahrzeugs, notwendige technische Unterstützung. Zudem stellt die Klägerin eine spezielle Plattform, Website oder App bereit, über die Nutzer einen bestimmten Anschluss reservieren und den Verlauf der Umsätze und Zahlungen einsehen können. Für alle diese Leistungen rechnet die Klägerin in Abhängigkeit von der Ladezeit einen einheitlichen Preis ab.
 
 
Das polnische Vorlagegericht stellte dem EuGH die Frage, ob es sich bei der komplexen Leistung, die die Klägerin an Ladepunkten an die Nutzer von Elektrofahrzeugen erbringt, umsatzsteuerrechtlich um eine Lieferung oder um eine Dienstleistung handelt.
 
3 Entscheidung des EuGH
Zunächst stellt der EuGH fest, dass es sich vorliegend um eine Kombination von Umsätzen handelt, bestehend aus der Lieferung von Elektrizität zum Aufladen von Elektrofahrzeugen und der Erbringung verschiedener Dienstleistungen. Darin liegt eine einheitliche Leistung für umsatzsteuerliche Zwecke. Der EuGH qualifiziert diese einheitliche Leistung als Lieferung und stellt dabei auf die Sichtweise des durchschnittlichen Nutzers von Ladepunkten ab. Die Übertragung von Elektrizität stellt den charakteristischen und dominierenden Bestandteil der einheitlichen und komplexen Leistung dar. Denn der Nutzer des Ladegeräts wird im Rahmen des Ladevorgangs ermächtigt, die übertragene Elektrizität, die nach Art. 15 Abs. 1 MwStSystRL einem körperlichen Gegenstand gleichgestellt ist, zum Zweck des Antriebs seines Fahrzeugs zu verbrauchen. Dagegen stellt die Gewährung des Zugangs zu dieser Vorrichtung lediglich eine minimale Dienstleistung dar, die notwendig mit der Lieferung von Elektrizität verbunden ist. Auch eine etwaige technische Unterstützung dient dem Nutzer lediglich als Mittel, um die Lieferung der Elektrizität, die für den Antrieb des Elektrofahrzeugs benötigt wird, unter optimalen Bedingungen in Anspruch nehmen zu können. Dies gilt auch für die Bereitstellung von IT-Anwendungen, die es dem betreffenden Nutzer ermöglichen, einen Anschluss zu reservieren, den Umsatzverlauf einzusehen und Guthaben für die Bezahlung der Aufladungen zu erwerben. Sämtliche aufgeführten Dienstleistungen stellen nach Auffas-sung des EuGH daher Nebenleistungen dar, die das umsatzsteuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen (hier: die Lieferung von Elektrizität).
 
4 Praxisfolgen
Im vorliegenden Fall bietet die Klägerin neben der Lieferung von Elektrizität weitere Dienstleistungselemente an (z. B. eine App zur Reservierung), die typischerweise von sog. E-Mobilitätsbetreibern (E-Mobility Provider, „EMP“) erbracht werden. Der EuGH hat in bemerkenswerter Klarheit festgestellt, dass in diesem Fall eine einheitliche Leistung in Form einer Lieferung vorliegt. Auch die Feststellung des EuGH, dass die Abrechnungsmodalität kein entscheidendes Kriterium bei der Abgrenzung zwischen Lieferung und Dienstleistung ist, trägt zur Rechtssicherheit bei. Bisher wurde die Abrechnung in Abhängigkeit von der Ladezeit in der Praxis teilweise als Argument für das Vorliegen einer Dienstleistung ins Feld geführt. Ebenso ist dem EuGH zuzustimmen, dass ein Rückgriff auf Art. 4 Abs. 8 der EU-RL 2014/94 („Leistungen zum Aufladen von Elektrofahrzeugen“) bei der Abgrenzung zwischen Lieferung und Dienstleistung irrelevant ist. In der Vergangenheit hatten Vertreter aus Italien einen Rückgriff auf die EU-RL 2014/94 im Mehrwertsteuerausschuss vorgetragen, obwohl die EU-RL 2014/94 keine Aussagen für die umsatzsteuerrechtliche Behandlung trifft. Einige praxisrelevante Fragestellungen bleiben jedoch offen. So musste der EuGH sich leider nicht mit der klassischen Konstellation auseinandersetzen, dass ein EMP zwischen den Ladesäulenbetreiber und den Nutzer geschaltet ist:
 
 
Unbeantwortet ist damit weiterhin die Frage, ob in diesem Drei-Personen-Verhältnis eine Lieferkette vorliegt oder der Ladesäulenbetreiber eine direkte Stromlieferung an den Nutzer erbringt und der EMP lediglich Dienstleistungen ausführt (vgl. EuGH in den Rs. Vega International – C-235/18 und Auto Lease Holland – C-185/01). Beim rasanten Ausbau der Ladeinfrastruktur derzeit dürfte es aber nur eine Frage der Zeit sein, dass sich der EuGH auch zu dieser Frage äußern muss.
 

Ansprechpartner:

 

Dr. Matthias Oldiges
Rechtsanwalt
Tel.: +49 211 54 095 366
 
Stand: 24.04.2023