Umsatzsteuer Newsletter 11/2023
Italien: Beteiligung einer Betriebstätte bei innergemeinschaftlicher Warenlieferung
Die Voraussetzungen für die Begründung und Beteiligung von Betriebstätten stehen regelmäßig auf dem Prüfstand. Die italienische Finanzverwaltung hat kürzlich (erneut) im Rahmen einer verbindlichen Auskunft über die Beteiligung einer Betriebstätte an der Ausführung einer innergemeinschaftlichen Warenlieferung des Stammhauses entschieden. Die Entscheidung ist beachtenswert.
1 Hintergrund
Wird eine Betriebstätte in die Erbringung von sonstigen Leistungen eingeschaltet, verlagert sich der Leistungsort weg vom Stammhaus des Unternehmens hin zur Betriebstätte (vgl. § 3a Abs. 1 Satz 2 UStG). Für Lieferungen gibt es bezüglich Betriebstätten keine speziellen Ortsregelungen. Eine warenbewegte Lieferung gilt immer dort als ausgeführt, wo der Warentransport beginnt, unabhängig davon, ob die Lieferung dem Stammhaus oder der Betriebstätte zuzurechnen ist (vgl. § 3 Abs. 6 Satz 1 UStG). Eine Betriebstätte kann zudem auch maßgeblich sein für den Steuerschuldübergang. Wird die Betriebstätte an einer Leistung beteiligt, gilt der Unternehmer in dem EU-Mitgliedstaat, in dem die Betriebstätte liegt, für diese Leistung als ansässig. Eine Betriebstätte gilt jedoch nur dann als an einer Leistung beteiligt, wenn die für die Leistung erforderlichen Arbeiten ganz oder überwiegend durch technische und personelle Mittel der Betriebstätte ausgeführt werden (vgl. Art. 53 Abs. 2 MwStVO). Unterstützende, verwaltungstechnische Tätigkeiten der Betriebstätte reichen für die Beteiligung der Betriebstätte an der Erbringung von Leistungen nicht aus (vgl. Art. 53 Abs. 2 MwStVO). 
 
Im Rahmen einer verbindlichen Auskunft bei der italienischen Finanzverwaltung wollte ein deutsches Unternehmen wissen, ob seine italienische Betriebstätte als beteiligt an einer innergemeinschaftlichen Warenlieferung gilt. Die Entscheidung der italienischen Finanzverwaltung ist beachtenswert (vgl. Agenzia delle Entrate, Tax Ruling Nr. 57/2023 vom 17.01.2023). 
 
2 Sachverhalt
Das Unternehmen mit Sitz in Deutschland unterhält in Italien eine Betriebstätte. Das Unternehmen verkauft Ware an einen Kunden in Italien. Die Ware wird unmittelbar vom Stammhaus des Unternehmens in Deutschland zum Kunden in Italien transportiert. Die italienische Betriebstätte ist in die Warenbewegung von Deutschland nach Italien nicht involviert. Allerdings war die Betriebstätte bei den Verhandlungen sowie beim Abschluss der Verträge zwischen Stammhaus und Kunde beteiligt. Zudem übernimmt die italienische Betriebstätte auch After-Sales-Services.
 
3 Auffassung der italienischen Finanzverwaltung
Die italienische Finanzverwaltung stellt fest, dass die umsatzsteuerliche Bewertung des Sachverhalts davon abhängt, ob die technischen und personellen Ressourcen der Betriebstätte für die Ausführung der Warenlieferungen des Stammhauses verwendet werden. Auf die Regelungen zum Lieferort geht die italienische Finanzverwaltung nicht weiter ein. Die Tatsache, dass die Betriebstätte grundsätzlich für das Stammhaus Verträge abschließen kann und Marketingaktivitäten betreibt, reiche an sich nicht für eine Beteiligung der Betriebstätte an der Ausführung von Umsätzen des Stammhauses aus. 
 
Nach den Ausführungen des Unternehmens weise die Tätigkeit der Betriebstätte im zugrunde liegenden Fall jedoch eine besondere Komplexität in Bezug auf die Vorbereitungsphase der Warenlieferungen auf. Die Betriebstätte sei maßgeblich an der Verhandlung der Verträge und deren technischem Inhalt beteiligt gewesen. Diese Tätigkeit beeinflusse die Qualität und Charakteristika der verkauften Ware. Daraus gehe hervor, dass die Betriebstätte im Vorfeld der Warenlieferungen eine entscheidende Rolle gespielt habe. Die italienische Finanzverwaltung kommt daher zu dem Schluss, dass die Betriebstätte an den Warenlieferungen des Stammhauses maßgeblich beteiligt ist, mit folgendem umsatzsteuerlichem Ergebnis:
(1) Das Stammhaus führt ein innergemeinschaftliches Verbringen an die Betriebstätte aus (und keine innergemeinschaftliche Lieferung an den Kunden!).
(2) Die Betriebstätte erbringt eine in Italien steuerbare und steuerpflichtige Lieferung an den Kunden. Die Steuerschuld geht nicht auf den Kunden über.
 
4 Praxishinweis
Unseres Erachtens ist die Entscheidung rechtlich zweifelhaft. Eine bewegte Lieferung gilt immer dort als ausgeführt, wo der Warentransport beginnt. Daran ändert auch die Einbindung einer Betriebstätte nichts. Selbst wenn die Lieferung einer Betriebstätte zuzurechnen wäre (d.h. die Betriebstätte wäre gewissermaßen Verkäufer), bestimmt sich der Leistungsort nach dem Beginn des Warentransports. Für das Steueraufkommen in Italien ist durch die „Zwischenschaltung“ der Betriebstätte ebenfalls nichts gewonnen. Auch ohne Beteiligung der Betriebstätte wäre der Warenerwerb in Italien zu versteuern – allerdings durch den italienischen Kunden.
 
Bindungswirkung entfaltet die verbindliche Auskunft nur für Italien. Dadurch kommt es zum Auseinanderfallen der deutschen und italienischen Beurteilung. Aus deutscher Sicht würde (weiterhin) eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung an den Kunden vorliegen. Entsprechend müsste das Stammhaus die innergemeinschaftliche Lieferung unter Angabe der italienischen USt-ID des Kunden in der Zusammenfassenden Meldung in Deutschland erklären. Für die Inanspruchnahme der Steuerfreiheit müsste das Stammhaus zudem einen Belegnachweis führen (i.d.R. eine Gelangensbestätigung unterzeichnet durch den Kunden). Die Deklaration eines innergemeinschaftlichen Verbringens an die Betriebstätte in der Zusammenfassenden Meldung wäre jedenfalls unzutreffend. Die Steuerbefreiung für die innergemeinschaftliche Lieferung an den italienischen Kunden könnte dann wegen Abgabe einer unrichtigen Zusammenfassenden Meldung entfallen. 
 
Am Ende wäre die Lieferung zudem doppelt zu erklären: als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung in Deutschland und als steuerpflichtige Lieferung in Italien. Eine zutreffende (automatische) Steuerfindung im ERP-System für den Fall zu finden, dürfte schwierig sein. Das Stammhaus sollte die italienische Entscheidung mit dem deutschen Finanzamt diskutieren, um ggfs. eine Lösung für die Deklaration in Deutschland zu finden.

Ansprechpartnerin:
 

Inge Söltl
Steuerberaterin, Master of Science (M.Sc.)
Telefon: +49 (0) 89 217 50 12-82

Stand: 22.02.2023