Umsatzsteuer Newsletter 16/2015
Vorerst keine Steuernachforderung bei Bauleistenden – Gewährung von Vertrauensschutz
Die Rückabwicklung von Bauträgerfällen ist in vollem Gange. Die Nachbelastung von Umsatzsteuer an die Bauleistenden und die Gewährung von Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 AO werden kontrovers diskutiert. Als erstes Gericht hat sich nun das FG Berlin-Brandenburg zu dieser Frage geäußert. Das FG gewährt dem Bauleistenden Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 AO. Es hat ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 27 Abs. 19 S. 2 UStG, der den Vertrauensschutz ausschließt.

1. Rechtlicher Hintergrund der Entscheidung
Mit Urteil vom 22.08.2013 (V R 37/10) hatte der BFH entschieden, dass Bauträger beim Bezug von Bauleistungen nicht Schuldner der Umsatzsteuer nach § 13b Abs. 1 S. 1 Nr. 4, Abs. 2 S. 2 UStG sind. Steuerschuldner seien vielmehr die Bauleistenden. Die damals geltenden Verwaltungsanweisungen hingegen sahen den Bauträger als Steuerschuldner an. Mit Schreiben vom 05.02.2014 hatte sich das BMF der Sichtweise des BFH angeschlossen. Viele Bauträger forderten daraufhin die von ihnen nach § 13b UStG ans Finanzamt abgeführte Umsatzsteuer zurück. In diesen Fällen stand die Frage im Raum, ob das Finanzamt von den Bauleistenden Umsatzsteuer für die Vergangenheit nachfordern kann. Dies wäre ausgeschlossen, wenn sich der Leistende auf Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 AO berufen kann. Mit Wirkung zum 31.07.2014 hat der Gesetzgeber infolgedessen § 27 Abs. 19 UStG geschaffen. Dessen Satz 2 soll den Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 AO für Bauleistende ausschließen. Sofort wurden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Norm laut.

2. Sachverhalt der Entscheidung
Gegenstand des Verfahrens vor dem FG Berlin-Brandenburg waren Bauleistungen, die der Antragsteller (ASt.) im Jahr 2009 an Bauträger ausgeführt hat. Die Bauträger hatten zunächst entsprechend der damaligen Verwaltungsauffassung die Umsatzsteuer nach § 13b Abs. 1 S. 1 Nr. 4, Abs. 2 S. 2 UStG erklärt. Nach der Entscheidung des BFH vom 22.08.2013 (V R 37/10) und der Änderung der Verwaltungsauffassung forderten die Bauträger die zu Unrecht abgeführte Steuer vom Finanzamt zurück. Das Finanzamt des ASt. setzte daraufhin die Steuer für 2009 gegen diesen fest. Der ASt. weigerte sich, berichtigte Rechnungen an die Bauträger auszustellen. Er legte gegen den Umsatzsteuerbescheid 2009 Einspruch ein. Zugleich beantragte er Aussetzung der Vollziehung dieses Bescheids. Über diesen Antrag hatte das FG Berlin-Brandenburg zu entscheiden.

3. Aussagen des FG Berlin-Brandenburg
Mit Beschluss vom 03.06.2015 hat das FG Berlin-Brandenburg dem Antrag stattgegeben und Aussetzung der Vollziehung (AdV) gewährt.

Im Rahmen einer summarischen Prüfung gelangt das FG zu der Auffassung, dass dem ASt. Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 AO zu gewähren sei. Gegen § 27 Abs. 19 S. 2 UStG, der den Vertrauensschutz ausschließt, bestehen ernstliche verfassungsrechtliche Zweifel. Es spreche viel dafür, dass eine verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung vorliege. Zugleich dürfte § 27 Abs. 19 S. 2 UStG gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen. Dem ASt. drohe außerdem ein erheblicher Schaden, da er die Umsatzsteuer für 2009 aufgrund der eingetretenen zivilrechtlichen Verjährung nicht an die Bauträger nachbelasten könne. Eine weitergehende Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 27 Abs. 19 UStG behält sich das FG für die Entscheidung in der Hauptsache vor.

Der Beschluss des FG Berlin-Brandenburg ist unanfechtbar. Das FG hat die Beschwerde zum BFH nicht zugelassen.

4. Auswirkungen der Entscheidung
Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 27 Abs. 19 S. 2 UStG ist damit zwar nicht abschließend geklärt. Bauleistende, die sich auf Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 2 AO berufen wollen, erhalten durch den Beschluss des FG Berlin-Brandenburg jedoch Rückenwind. Unter Hinweis auf diesen Beschluss können Bauleistende AdV entsprechender Umsatzsteuerbescheide beantragen. Zu beachten ist jedoch, dass bei gewährter AdV und anschließender negativer Entscheidung in der Hauptsache zusätzlich AdV-Zinsen anfallen.
Der Beschluss bezieht sich auf einen Besteuerungszeitraum vor Veröffentlichung der Entscheidung des BFH vom 22.08.2013. Offen bleibt, ob eine Berufung auf § 176 Abs. 2 AO auch für Zeiträume nach Veröffentlichung des Urteils des BFH möglich ist. Dieselbe Frage stellt sich in Fällen, in denen der Bauleistende die Möglichkeit hat, Umsatzsteuer an den Bauträger nachzubelasten. Davon ging das FG Berlin-Brandenburg in diesem Fall aufgrund von Verjährung nicht aus. Unklar bleibt, weshalb das FG die Frage der Verjährung bejaht hat. Gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB beginnt die Verjährung unter anderem nur dann, wenn der Gläubiger von den Umständen, die den Anspruch begründen, Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Hierauf geht das FG jedoch nicht ein.

Die Entscheidung des FG Berlin-Brandenburg ist zu begrüßen. Bauleistende können sich die Entscheidung zunutze machen und gegen Steuernachforderungen vorgehen.

5. Weitere Entwicklung in Bauträgerfällen
Auf eine weitere aktuelle Entwicklung in Bauträgerfällen möchten wir an dieser Stelle noch hinweisen: § 27 Abs. 19 S. 3 UStG enthält eine Regelung zur Abtretung. Der Bauleistende kann seine Steuerschuld unter gewissen Voraussetzungen dadurch begleichen, dass er seinen zivilrechtlichen Anspruch gegen den Bauträger ans Finanzamt abtritt.

Einzelne Finanzämter hingegen bringen eine andere Abtretung ins Spiel: Sie fordern den Bauträger auf, seinen Anspruch auf Erstattung der nach § 13b UStG zu Unrecht abgeführten Umsatzsteuer gem. § 46 AO abzutreten. Während dieser Weg für Bauleistende vorteilhaft erscheint, können Risiken für Bauträger nicht ganz ausgeschlossen werden.

Ansprechpartner:

Thomas Streit, LL.M. Eur.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Stand: 11.06.2015