Umsatzsteuer Newsletter 18/2015
EuGH stellt Organschaft auf den Kopf
Nach dem nationalen Recht können nur juristische Personen als Organgesellschaften fungieren. Zudem wird verlangt, dass die Organgesellschaft in finanzieller, wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht dem Organträger untergeordnet ist. Der EuGH hat dieses bisherige Verständnis auf den Kopf gestellt: Das nationale Gesetz entspricht nicht dem Unionsrecht. Hinzu kommt, dass die bisherige Auffassung des BFH vom Bestehen einer Organschaft viel zu eng war. Die spannende Frage ist nun: Inwieweit können Unternehmer davon profitieren?

1. Problemstellung
Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG können nur juristische Personen Organgesellschaft sein. Hinzukommt, dass die Organgesellschaft finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sein muss. Anders das Unionsrecht: Gemäß Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL können Personen, die finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch eng miteinander verbunden sind, eine Organschaft begründen. Es ist unschwer zu erkennen, dass das nationale Gesetz schon im Wortlaut nicht mit dem Unionsrecht übereinstimmt. Nun hatte der EuGH die Möglichkeit, sich zum bisherigen nationalen Verständnis der Organschaft zu äußern. Diese Entscheidung war mit Spannung erwartet worden, da viele die Hoffnung hegten, dass der EuGH damit der zunehmend restriktiver gewordenen Rechtsprechung des BFH bei der Organschaft ein Ende setzen würde. Darüber hinaus hat sich der EuGH in seiner Entscheidung mit der Frage des Vorsteuerabzugs bei Holdinggesellschaften beschäftigt (vgl. dazu im nächsten KMLZ Newsletter).

2. Sachverhalt
Kläger war eine Holdinggesellschaft, die Beteiligungen an Schiffs GmbH & Co. KGs gehalten hat. Die Kläger erbrachten Dienstleistungen an KGs. Der BFH wollte vom EuGH wissen, ob die Regelung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG unionsrechtswidrig ist, weil nur juristische Personen und keine Personengesellschaften Organgesellschaften sein können und zudem vorausgesetzt wird, dass zwischen Organträger und Organgesellschaft ein Über- und Unterordnungsverhältnis bestehen muss. In einer weiteren Frage wollte der BFH klären, ob sich ein Steuerpflichtiger unmittelbar auf das Unionsrecht berufen kann.

3. Urteil des EuGH vom 16.07.2015 (C-108/14, C-109/14 Larentia + Minerva)
Der EuGH stellt zunächst fest, dass das Unionsrecht den Mitgliedstaaten keinen Spielraum lässt, um Personengesellschaften wie z. B. eine GmbH & Co. KG von einer Organschaft auszuschließen. Der Ausschluss könne allenfalls damit begründet werden, dass dies der Vermeidung von Steuerhinterziehung dient – vgl. Art. 11 Abs. 2 MwStSystRL.  Ob der Ausschluss einer Personengesellschaft diesem Ziel dient, sei aber vom nationalen Recht, also dem BFH, zu prüfen.

Ähnlich geht der EuGH vor, wenn er das Erfordernis eines Unterordnungsverhältnisses prüft: Ein Unterordnungsverhältnis deute zwar auf eine enge Verbindung zwischen Organgesellschaft und Organträger hin. Eine enge Verbindung könne allerdings ebenso bei anderen Merkmalen vorliegen. Jedoch habe auch bei dem Merkmal des Unterordnungsverhältnisses der jeweilige Mitgliedstaat das Recht, dieses Merkmal einzuschränken, um Steuerhinterziehung zu vermeiden. Das nationale Gericht müsse aber auch hier prüfen, ob eine solche Einschränkung eine erforderliche und geeignete Maßnahme darstellt.

Damit war schließlich auch die letzte Antwort vorgegeben: Da die Regelung in der MwStSystRL nicht inhaltlich unbedingt und nicht hinreichend genau ist, könne sich der Steuerpflichtige nicht unmittelbar darauf berufen.

4. Hinweise für die Praxis
Hat die Praxis durch dieses Urteil überhaupt etwas gewonnen? Dies ist unseres Erachtens mit einem klaren JA zu beantworten. Der BFH hat in den vergangenen Jahren immer höhere Anforderungen an die umsatzsteuerliche Organschaft gestellt. So wurde die finanzielle Eingliederung bei Schwestergesellschaften verneint. Auch hat der BFH die organisatorische Eingliederung bei Fremdgeschäftsführern in der Organgesellschaft wesentlich erschwert. Diese Rechtsprechung muss nun in einem neuen Licht gesehen werden, da ein Unterordnungsverhältnis nur noch mit der Vermeidung von Steuerhinterziehung begründet werden kann. Eine enge Verbindung reicht. Zudem wird der BFH wohl Personengesellschaften als Organgesellschaften anerkennen müssen, da sich der generelle Ausschluss von Personengesellschaften nicht mit der Vermeidung von Steuerhinterziehung legitimieren lässt. Auch wenn sich Unternehmer nicht direkt auf das Unionsrecht berufen dürfen, so können sie wenigstens eine unionsrechtskonforme Auslegung von der Finanzbehörde einfordern. Der klare Wortlaut im deutschen Gesetz spricht nicht dagegen. Denn der Generalanwalt hat in seinem Schlussantrag in Rz. 116 festgestellt, dass z.B. die Einbeziehung von „kapitalistisch strukturierten“ Personengesellschaften wie der Kommanditgesellschaft nicht zu einer Auslegung contra legem führen würde.

Für Steuerpflichtige bedeutet diese Entscheidung, dass bei der umsatzsteuerlichen Organschaft ein neues Kapitel geschrieben wird. Es sind damit alle Fälle offenzuhalten. Die neue Rechtsprechung des EuGH wird zu einem Umdenken führen. Nicht nur ein Teil der Personengesellschaften kann sich Hoffnung machen, sondern es ist möglich, dass bereits bei engen Verbindungen von einer Organschaft auszugehen sein wird. So besinnt man sich vielleicht wieder auf die gute alte Zeit, in der die Regel galt: Ist ein Merkmal stärker ausgeprägt, so reicht es aus, wenn die anderen Merkmale weniger evident sind.

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Thomas Küffner
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer
Tel.: 089 / 217 50 12 - 30
thomas.kueffner@kmlz.de

Stand: 20.07.2015