Umsatzsteuer Newsletter 20/2015
Zeugenbeweis bei innergemeinschaftlichen Lieferungen?
Unternehmer, die Ware innergemeinschaftlich umsatzsteuerfrei liefern wollen, müssen Nachweise führen. Die Nachweise sind grundsätzlich in Form eines Buch- und Belegnachweises zu erbringen. Aus Sicht des BFH (Urt. v. 19.03.2015 – V R 14/14) kommt ein Zeugenbeweis nur im Ausnahmefall in Betracht. Dann nämlich, wenn der Belegnachweis nicht oder nicht zumutbar geführt werden kann. Dies hat Auswirkungen insbesondere auf gerichtliche Auseinandersetzungen.

1. Problemstellung
Innergemeinschaftliche Lieferungen sind gem. § 4 Nr. 1 Buchst. b i. V. m. § 6a Abs. 1 UStG umsatzsteuerfrei. Der Nachweis der Steuerbefreiung ist gem. § 6a Abs. 3 UStG i. V. m. § 17a, § 17c UStDV grundsätzlich durch Buch- und Belegnachweis zu führen. Nach ständiger Rechtsprechung kann der Belegnachweis bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht erbracht und ergänzt werden. Die Steuerbefreiung ist jedoch auch dann zu gewähren, wenn objektiv feststeht, dass die Voraussetzungen der Steuerbefreiungsnorm vorliegen.

2. Sachverhalt
Der Kläger betrieb in den Streitjahren 2001 bis 2004 einen Großhandel mit Haushaltswaren, Sonderposten und Fotoartikeln. Der Kläger gab an, in den Streitjahren Waren an ein Unternehmen nach Italien geliefert zu haben. Die Waren hat teilweise der Kläger selbst, teilweise der Abnehmer befördert. Der Kläger behandelte diese Lieferungen als steuerfrei. Die Belegnachweise führte er durch internationale Frachtbriefe und CMR-Frachtbriefe. Er legte u. a. auch eine nachträgliche Bestätigung des Abnehmers vor. Überdies bekräftigte der Geschäftsführer des Abnehmers in einem Termin zur Erörterung des Falles, dass die Geschäfte ordnungsgemäß abgelaufen seien. Das beklagte Finanzamt versagte die Steuerbefreiung. Die vorgelegten Belegnachweise seien unvollständig. Zudem habe der Kläger die Lieferketten lediglich konstruiert. Dies habe auch der Buchhalter des Klägers im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens bestätigt. Das Finanzgericht Düsseldorf versagte die Steuerbefreiung. Das in der Sache laufende staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen.

3. Aussagen des BFH
Der BFH wies die Revision des Klägers zurück. Er versagte die Steuerbefreiung der innergemeinschaftlichen Lieferung. Die erforderlichen Belegnachweise waren aus Sicht des BFH unvollständig. Es fehle an der Angabe des Bestimmungsorts. Teilweise seien inländische Bestimmungsorte angegeben. Soweit Bestimmungsorte im EU-Ausland angegeben seien, bestünden Unklarheiten über die Person des Belegausstellers. Auf die Frage, ob Frachtbriefe in diesem Beförderungsfall überhaupt die richtige Art des Belegnachweises sind, ging der BFH nicht ein.
Ob die Ware das Land physisch verlassen hat, ist aus Sicht des BFH in erster Linie anhand der Belege zu prüfen, die der Steuerpflichtige vorweisen muss. Die Mitgliedstaaten seien berechtigt, diese formellen Voraussetzungen zu schaffen. Das Unionsrecht gebiete die Steuerbefreiung jedoch auch dann, wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen der Steuerbefreiung unbestreitbar feststehen. Dies sei hier jedoch nicht der Fall. Der Unternehmer sei grundsätzlich nicht berechtigt, den Nachweis anders als durch Belege und Aufzeichnungen zu führen. Ein Beweis durch Zeugen komme damit grundsätzlich nicht in Betracht. Anders sei dies nur dann, wenn der „Formalbeweis ausnahmsweise nicht oder nicht zumutbar geführt werden kann“. Wann dies zutreffen soll, lässt der BFH offen.

4. Auswirkungen der Entscheidung
Nimmt man auf Basis dieser Entscheidung alle Nachweismöglichkeiten bei innergemeinschaftlichen Lieferungen in den Blick, ergibt sich folgendes Gesamtbild:

Daraus ergibt sich folgende Konsequenz für die Rechtspraxis: Will der leistende Unternehmer von der Steuerbefreiung profitieren, muss er streng darauf achten, Buch- und Belegnachweis vollständig und richtig zu führen. Stellt er nachträglich fest, dass ein Belegnachweis unrichtig oder unvollständig ist, sollte er sich umgehend um dessen Vervollständigung bemühen. Ein Zeugenbeweis, der den Mangel im Belegnachweis ausgleichen könnte, kommt nach der Entscheidung des BFH grundsätzlich nicht in Betracht.  

Will ein Unternehmer den Nachweis der Steuerbefreiung mittels Zeugenbeweis führen, sollte er unter Beweis stellen, dass er den Belegnachweis nicht oder nicht zumutbar führen kann. Andernfalls läuft er Gefahr, dass seine Klage abgewiesen wird.

5. Fazit
Im Fall des BFH gab es wohl widersprüchliche Zeugenangaben. Der BFH hat diesem Gesichtspunkt jedoch keine Bedeutung beigemessen. Vielmehr trifft er eine generelle Aussage: Der Zeugenbeweis als solcher kommt bei innergemeinschaftlichen Lieferungen nur ausnahmsweise in Frage.

Das Kriterium, ob ein bestimmter formeller Nachweis zumutbar geführt werden kann, hat der EuGH in der Rechtssache VSTR (Urt. v. 27.09.2012 – C-587/10, Tz. 49 ff.) bemüht. Dort allerdings bezogen auf die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers. Dieses Kriterium wendet der BFH nun auf die Nachweisführung generell an. Damit stehen zwei Kernfragen im Raum: Was bleibt in der Praxis vom Objektivnachweis, wenn beispielsweise Zeugen übereinstimmend und widerspruchsfrei bestätigen, dass der Gegenstand ins übrige Gemeinschaftsgebiet gelangt ist? Wann kann der Belegnachweis nicht oder nicht zumutbar geführt werden? Unternehmer, die Risiken weitestgehend minimieren wollen, kommen nicht umhin, auf eine saubere Belegführung zu achten.

Ansprechpartner:

Thomas Streit, LL.M. Eur.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Stand: 25.09.2015