Umsatzsteuer Newsletter 29/2015
GmbH = öffentliche Hand?
Der EuGH hat entschieden, dass juristische Personen des privaten Rechts als Einrichtungen des öffentlichen Rechts verstanden werden können. Dies ist ein Paukenschlag, da der BFH dies bislang anders gesehen hat. Die neue Rechtsprechung hat besondere Bedeutung für sog. „beliehene“ Unternehmen. Die nationale Regelung des § 2 Abs. 3 UStG und des § 2b UStG ist daher zukünftig richtlinienkonform auszulegen.

1. Problemstellung

Nach der MwStSystRL genießen Einrichtungen des öffentlichen Rechts eine Sonderstellung: Sie gelten nach Art. 13 MwStSystRL nicht als Steuerpflichtige, wenn sie im Rahmen der öffentlichen Gewalt tätig werden und keine größeren Wettbewerbsverzerrungen drohen.

Diese Sonderbehandlung blieb sog. beliehenen Unternehmern – also privatrechtlich organisierten Unternehmern, denen hoheitliche Aufgaben übertragen werden – bislang verwehrt. Sie galten nicht als Einrichtungen des öffentlichen Rechts. Der EuGH musste sich nun mit der Frage beschäftigen, ob nicht doch eine juristische Person des Privatrechts eine solche Einrichtung sein kann.

2. Sachverhalt

Bei der Klägerin Saudacor handelte es sich um eine Aktiengesellschaft. 100 % der Anteile am Gesellschaftskapital hielt die öffentliche Hand, hier die Autonome Region Azoren, kurz ARA. Der Gesellschafter hatte nach vertraglichen Vereinbarungen nicht nur die Aufsicht, sondern konnte auch Leitlinien vorgeben. Nach portugiesischem Gesetz verfügt die Klägerin über hoheitliche Befugnisse. Danach konnte ausschließlich Saudacor Dienstleistungen an die Gesellschafterin ARA erbringen.

3. EuGH, Urt. v. 29.10.2015, C-174/14 Saudacor

Nach dem EuGH hat eine juristische Person des Privatrechts zwei Voraussetzungen kumulativ zu erfüllen, um als sonstige Einrichtung des öffentlichen Rechts anerkannt zu werden:

• Es muss sich um eine öffentliche Einrichtung handeln und diese muss
• im Rahmen der öffentlichen Gewalt tätig sein.

Um eine öffentliche Einrichtung handelt es sich dann, wenn die Person in die Organisation der öffentlichen Verwaltung eingegliedert ist. Der EuGH präzisiert am Fall Saudacor nunmehr die Indizien, die für das Vorliegen einer solchen Eingliederung sprechen:

• 100 % der Anteile an Saudacor sind im Besitz eines Gesellschafters.
• Der Gesellschafter führt aufgrund vertraglicher Vereinbarung die Aufsicht über Saudacor.
• Dienstleistungen werden aufgrund Gesetzes ausschließlich durch Saudacor erbracht.

Im Hinblick auf die zweite Voraussetzung des Tätigwerdens im Rahmen der öffentlichen Gewalt verweist der EuGH auf seine bisherige Rechtsprechung. Öffentliche Gewalt wird danach immer ausgeübt, wenn die jeweilige Einrichtung im Rahmen der ihr eigenen rechtlichen Regelung tätig wird, also nicht unter den gleichen rechtlichen Bedingungen wie private Wirtschaftsteilnehmer. Ebenso scheidet eine Annahme von öffentlicher Gewalt aus, wenn größere Wettbewerbsverzerrungen drohen.

4. Hinweise für die Praxis

Übertragen auf das deutsche Recht hat diese Rechtsprechung zur Folge, dass zukünftig sog. „Beliehene“ in den Genuss des umsatzsteuerlichen Sonderrechts der öffentlichen Hand kommen können. Von einem beliehenen Unternehmer ist immer dann die Rede, wenn auf ihn Hoheitsrechte übertragen sind. Die Beleihung kann nur aufgrund eines Gesetzes erfolgen. Die Beleihung allein wird aber nicht reichen, um von dem Sonderrecht zu profitieren. Hinzukommen muss, dass der beliehene Unternehmer in die Organisation der beleihenden Einrichtung eingegliedert ist. Der EuGH hat die Indizien (wie z.B. 100 % Anteilsmehrheit etc.) nun konkret formuliert. Sofern diese erfüllt sind, wird – zumindest für Umsatzsteuerzwecke – aus der juristischen Person des privaten Rechts eine solche des öffentlichen Rechts.

Ist erst einmal diese Hürde genommen, bieten sich zahlreiche Vorteile, die klassischen juristischen Personen des Privatrechts verschlossen bleiben: So können Einrichtungen des öffentlichen Rechts nach der Neuregelung in § 2b Abs. 3 UStG nicht nur steuerbegünstigte Kooperationen eingehen. Es winken zudem Vorteile durch bestimmte Steuerbefreiungsnormen, in denen für Einrichtungen des öffentlichen Rechts geringere Voraussetzungen gelten.

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Thomas Küffner
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer
Tel.: 089 / 217 50 12 - 30
thomas.kueffner@kmlz.de

Stand: 24.11.2015