Umsatzsteuer Newsletter 08/2016
Holding und Organschaft
Der XI. Senat des BFH hat mit Urteil vom 19.01.2016 (XI R 38/12) seine Nachfolgeentscheidung zu dem EuGH-Verfahren Larentia + Minerva verkündet. Das Urteil beschäftigt sich mit Fragen zum Vorsteuerabzug bei Führungsholdings und auch zur Organschaft. Der XI. Senat schließt sich dem V. Senat (Urt. v. 02.01.2015, V R 25/13) an und erkennt GmbH &Co. KGs als potenzielle Organgesellschaften an. Dies ist erfreulich. Positiv ist auch, dass reinen Führungsholdings der volle Vorsteuerabzug zusteht. Als Wermutstropfen kommt jedoch hinzu, dass steuerfreie Finanzumsätze den Vorsteuerabzug einschränken können. Verrechnungskonten und Cash Pools können sich damit zum Umsatzsteuerproblem entwickeln.

1. Hintergrund
Der BFH legte dem EuGH die Frage vor, ob eine Führungsholding zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sein kann. Schließlich stünden die Eingangsleistungen auch teilweise im Zusammenhang mit dem nicht steuerbaren Erwerb und dem Halten der Beteiligungen. Dem widersprach der EuGH mit Urteil vom 16.07.2015 (C-108/14, C-109/14, Larentia + Minerva – vgl. KMLZ Newsletter 19/2015). Er bestätigte, dass ein volles Vorsteuerabzugsrecht besteht, wenn die Holding in die Verwaltung der Tochtergesellschaft eingreift und hierdurch steuerpflichtige Umsätze erbringt.
Im Hinblick auf die weitere Vorlagefrage des BFH, ob eine Personengesellschaft Organgesellschaft im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG sein kann, entschied der EuGH, dass dies grundsätzlich möglich ist. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn Deutschland bewusst Personengesellschaften als Organgesellschaften ausgeschlossen hätte, um Steuerhinterziehung vorzubeugen. Dies müsse aber vom nationalen Gericht geprüft werden (vgl. KMLZ Newsletter 18/2015).
Nun war es an dem XI. Senat, diese Vorgaben des EuGH auf den Fall anzuwenden. Pikanterweise hatte zuvor bereits der V. Senat des BFH versucht, die Vorgaben auf das nationale Recht zu übertragen. Der V. Senat ist mit Urteilen vom 02.12.2015 zu dem Ergebnis gelangt, dass Personen-gesellschaften in eine Organschaft einbezogen werden können, wenn Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind (vgl. KMLZ Newsletter 2/2016).

2. Sachverhalt

 

Die Klägerin war eine (Führungs-)Holding in der Rechtsform einer AG. Sie war Kommanditistin an mehreren GmbH & Co. KGs und jeweils zu mehr als 99 % beteiligt. Weiterer Kommanditist war eine dritte Person. Die AG erbrachte an die GmbH & Co. KGs entgeltlich Geschäftsführungsleistungen und erhielt Zinsen für Darlehensgewährungen. Daneben vereinnahmte sie Zinsen aus Geldanlagen bei Kreditinstituten. Streitig war der Vorsteuerabzug aus Eingangsrechnungen im Zusammenhang mit Kapitalerhöhungen.

3. Vorsteuerabzug bei Holding
Da an die beiden GmbH & Co. KGs entgeltlich Umsätze erbracht wurden, handelt es sich um eine wirtschaftlich tätige Führungsholding. Der BFH schließt sich nun der Vorgabe des EuGH an und gesteht das Recht auf Vorsteuerabzug grundsätzlich in vollem Umfang zu. Seinen früheren Einwand, dass nur ein teilweiser Vorsteuerabzug möglich sei, da die Kapitalbeschaffung auch mit dem (nichtwirtschaftlichen) Halten der Beteiligungen im Zusammenhang stehe, gibt der BFH auf. Aus diesen allgemeinen Kosten dürfe der volle Vorsteuerabzug in Anspruch genommen werden. Diese Aussage ist positiv. Finanzämter können daher keinen Nachweis mehr verlangen, dass diese Kosten mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit in Zusammenhang stehen müssen.
Weniger gut ist die Einschränkung des Vorsteuerabzugs auf einer zweiten Stufe. Nach Auffassung des BFH muss nämlich berücksichtigt werden, dass aufgrund der Zinseinnahmen der Vorsteuerabzug insoweit zu versagen ist. Denn bei Zinsen handelt es sich um steuerfreie Umsätze nach
§ 4 Nr. 8 UStG, die den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 UStG ausschließen. Etwas anderes würde nur gelten, wenn es sich um Hilfsumsätze handeln würde, die nach der Vereinfachungsregel des § 43 Nr. 3 UStDV unberücksichtigt bleiben können.
Im konkreten Fall lehnt der BFH aber die Annahme eines Hilfsumsatzes ab. Unerheblich ist bei dieser Frage, in welchem Verhältnis die Zinseinnahmen zu den Umsätzen aus der Haupttätigkeit stehen. Ausschlaggebend für die Verneinung eines Hilfsumsatzes war vielmehr die Tatsache, dass die Zinseinnahmen nach den Feststellungen des Finanzgerichts zur Haupttätigkeit der Holding gehörten. Denn Gegenstand des Unternehmens war u.a. der Erwerb und die Verwaltung von Finanzanlagen. Der BFH verweist insoweit auf die Tatsachenfeststellungen „auf S. 4 des FG-Urteils“. Es bleibt damit unklar, ob der BFH hier auf den Gegenstand des Unternehmens in der Satzung abstellt oder auf die tatsächlich gelebte Art und Weise in dem Unternehmen.

Was bedeutet dies für die Praxis?
• Feststeht, dass man die Einschränkung des Vorsteuerabzugs umgehen kann, indem in Bezug auf die Zinseinnahmen bei konzerninternen Transaktionen nach § 9 UStG zur Umsatzsteuer optiert wird. Dies kann auch noch nachträglich erfolgen. Entsprechende Rechnungen sind aber erforderlich. Gegenüber ausländischen Tochtergesellschaften kann jedoch nur optiert werden, wenn das ausländische Recht eine Option zulässt. Dies ist aber in den wenigsten Mitgliedstaaten der Fall.
• Ein weiterer Ausweg aus dem Dilemma könnte sich eröffnen, wenn es sich im konkreten Fall doch um einen Hilfsumsatz handeln würde. Voraussetzung wäre, dass Finanzanlagen nicht zum Gegenstand des Unternehmens gehören.
• Durch die Bildung einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft könnte das Thema konzernintern ebenfalls gelöst werden. Die Zinseinnahmen würden dann nicht steuerbare Innenumsätze darstellen.
Ansonsten bleibt Unternehmen nur der Hinweis auf die Urteile des FG Hamburg vom 04.09.1997 (II 117/96) und vom 10.12.2012 (2 K 189/10). Nach dieser Rechtsprechung war es vertretbar, auf die Vorsteuerkürzung wegen § 43 Nr. 3 UStDV und Art. 174 Abs. 2 c MwStSystRL zu verzichten. Die bisherige Handhabung sollte jedoch auf den Prüfstand gestellt werden. Die Finanzverwaltung wird daher gut daran tun, ein Anwendungsschreiben mit einer Übergangsregelung zu erlassen.

4. Organschaft
Der BFH schließt sich der Rechtsprechung des V. Senats an und kommt zu dem Ergebnis, dass eine GmbH & Co. KG – obgleich der Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG nur juristische Personen aufführt – eine potenzielle Organgesellschaft sein kann. Er begründet dies mit der richtlinienkonformen Auslegung des Begriffs „juristische Person“. Der V. Senat ist zu dem gleichen Ergebnis gekommen, jedoch mit dem „Kunstgriff“ der teleologischen Extension. Diese sei aber nur möglich, wenn als Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem Organträger nur solche Personen fungieren, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind. Diese zusätzliche Einschränkung macht der XI. Senat bei GmbH & Co. KGs nicht. Er stellt lediglich fest, dass jedenfalls bei kapitalistisch strukturierten Personengesellschaften die richtlinienkonforme Auslegung möglich ist. Dies gebiete nicht nur der Grundsatz der Rechtsformneutralität, sondern ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, die dieselbe Auslegung in anderem Zusammenhang bereits ebenfalls vorgenommen haben.

Der XI. Senat beteuert, dass er mit diesem Urteil nicht von der Rechtsprechung des V. Senats abweicht, sondern nur in der Begründung. Dies trifft auf den ersten Blick auch zu, gleichwohl ist zu bedenken, dass die AG im vorliegenden Streitfall nur 99 % der Anteile innehatte und es einen dritten Gesellschafter mit einem Mini-Anteil gab, der nicht in die Organ-schaft finanziell eingegliedert war. Der V. Senat hat gefordert, dass der Organträger oder finanziell in ihn eingegliederte Personen 100 % der Anteile halten müssen. Dies stellt m.E. sehr wohl eine Abweichung dar. Zumindest die Praxis der Steueranwender hätte hier von  den  beiden Umsatzsteuersenaten eine einheitliche Linie erwartet. Dazu kam es leider nicht. So bleibt es weiterhin spannend und das BMF ist wieder einmal gefragt. Es wird ein BMF-Schreiben erlassen. Dieses ist dem Vernehmen nach bereits vorbereitet, muss jedoch wohl nochmals präzisiert werden.
Doch kann ein BMF-Schreiben wirklich helfen? Rechtsklarheit für alle Beteiligten wird es nur geben, wenn der Gesetz-geber nun endlich die Organschaft mit einem Antragsrecht und einem Feststellungsverfahren ausgestaltet. Die Zeit wäre reif. Der BFH hat in seiner Entscheidung vom 02.12.2015 (V R 15/14) die Steilvorlage gegeben und eine solche gesetzgeberische Option für mit dem Unionsrecht konform gehalten.
Interessant sind noch die Ausführungen des BFH zum Merkmal der organisatorischen Eingliederung. Wir erinnern uns: Der V. Senat hatte festgestellt, dass im Regelfall eine personelle Verflechtung über die Geschäftsführung der Personengesellschaft notwendig ist. Nur wenn institutionell abgesicherte unmittelbare Eingriffsmöglichkeiten bestehen, liege eine Eingliederung vor. Der V. Senat lehnte es ausdrücklich ab, die Organschaft aus Gründen des Unionsrechts auf lediglich eng miteinander verbundene Personen zu erweitern.

Die Praxis wird es freuen, dass der XI. Senat eine solche enge Betrachtungsweise wohl nicht teilt. Er ließ die Frage aufgrund fehlender tatsächlicher Feststellungen des FG offen. Er verwies lediglich auf den Schlussantrag des Generalanwalts, der ein starres Über- und Unterordnungsverhältnis als kritisch ansieht.

So bleibt die Hoffnung für viele Konzerne, dass auch Konzernrichtlinien u.U. für die organisatorische Eingliederung ausreichend sein können. Denn die Annahme, dass die Personenidentität der Geschäftsführungsorgane in einer Konzernstruktur möglich sei, ist lebensfremd. Die Willensdurchsetzung kann auch auf andere Weise geschehen. Dies zeigt auch die Praxis: Hält sich ein Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft nicht an die Konzernvorgaben, so war er die längste Zeit Geschäftsführer. Es wäre daher gut, wenn die Diskussion mit etwas mehr Augenmaß geführt würde.

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Thomas Küffner
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer
Tel.: 089 / 217 50 12 - 30
thomas.kueffner@kmlz.de

Stand: 11.03.2016