Umsatzsteuer Newsletter 23/2015
BFH verschärft Anforderungen an Rechnungen
In einer bisher wenig beachteten Entscheidung hat der BFH die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug aus Rechnungen bedeutend verschärft. Er urteilte, dass Unternehmer keinen Vorsteuerabzug aus Rechnungen geltend machen können, die lediglich eine Postfachadresse des Leistenden angeben. Dabei deutet der BFH an, dass dies auch dann gilt, wenn in der Rechnung die Postfachadresse des Leistungsempfängers genannt wird. Das Urteil kann massive Auswirkungen vor allem für deutsche Unternehmen haben.

 

1. Problemstellung

Nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG müssen Unternehmer in Rechnungen den vollständigen Namen und die vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers angeben. Fehlen diese Angaben, kann der Leistungsempfänger keinen Vorsteuerabzug geltend machen. Fraglich ist, ob der Begriff „vollständige Anschrift“ auch den „Briefkastensitz“ (v.a. das Postfach oder eine eigene Postleitzahl) der Parteien umfasst. Die Finanzverwaltung bejaht dies aktuell für das Postfach oder die Großkundenadresse des Leistungsempfängers (Abschn. 14.5 Abs. 2 S. 3 UStAE).

Der BFH hat in einem aktuellen Urteil den Vorsteuerabzug aus Rechnungen versagt, die lediglich eine „Briefkastenadresse“ des Leistenden angeben. Er distanzierte sich dabei ausdrücklich von der o.g. Auffassung der Finanzverwaltung, aber auch ein Stück weit von seiner eigenen bisherigen Rechtsprechung.

2. Sachverhalt

Die Klägerin machte Vorsteuerabzug aus Rechnungen geltend. Unter der auf der Rechnung angegebenen Adresse war der Lieferant lediglich postalisch erreichbar. Dort befanden sich die Beratungsstelle eines Lohnsteuerhilfevereins und ein Buchhaltungsbüro. Diese nahmen die Post des Lieferanten entgegen. Weiterhin erledigten sie für den Lieferanten Buchhaltungsarbeiten. Der Lieferant „entwickelte“ dort keine eigenen geschäftlichen Aktivitäten. Die Geschäftsräume des Lieferanten befanden sich an einer anderen Adresse.

3. BFH-Urteil vom 22.07.2015 – V R 23/14

Der BFH versagte den Vorsteuerabzug der Klägerin aus den Rechnungen des Lieferanten. Aus Sicht des BFH ist das Merkmal „vollständige Anschrift“ nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG nicht erfüllt. Die vollständige Anschrift soll sich dort befinden, wo der leistende Unternehmer seine wirtschaftlichen Aktivitäten entfaltet.

Die Finanzverwaltung könne das Tatbestandsmerkmal „vollständige Anschrift“ nur dann eindeutig und leicht nachprüfen, wenn der in der Rechnung angegebene Sitz des Lieferanten bei Ausführung der Leistung und bei Rechnungstellung tatsächlich bestanden hat. Hierfür reicht die Angabe einer Anschrift nicht aus, an der im Zeitpunkt der Rechnungstellung keinerlei geschäftliche Aktivitäten stattfinden.

In diesem Zusammenhang weist der BFH darauf hin, dass die Finanzverwaltung im Hinblick auf die Verwendung eines Postfaches durch den Leistungsempfänger in Abschn. 14.5 Abs. 2 S. 3 UStAE eine andere Ansicht vertritt. Außerdem stellt er klar, dass er nicht mehr an der Äußerung in einem früheren Urteil festhält, wonach ein „Briefkastensitz“ mit nur postalischer Erreichbarkeit ausreichen könnte (BFH, Urt. v. 19.04.2007 – V R 48/04, BStBl II 2009, 315).

4. Hinweise für die Praxis

Das Urteil könnte von Betriebsprüfungen zum Anlass genommen werden, in solchen Fällen unzureichender postalischer Angaben den Vorsteuerabzug zu versagen. Dies dürfte beide Anschriften betreffen, also sowohl die des Leistenden als auch die des Leistungsempfängers. Denn der BFH merkt an, dass die Finanzverwaltung das Merkmal „vollständige Anschrift“ in Bezug auf die Anschrift des Leistungsempfängers anders interpretiert als er selbst. Er gibt damit klar zu verstehen, dass es aus seiner Sicht nicht ausreicht, wenn eine Rechnung das Postfach oder die Großkundenadresse des Leistungsempfängers nennt.

Die Finanzverwaltung könnte diese Aussage als „Wink mit dem Zaunpfahl“ verstehen und Abschn. 14.5 Abs. 2 S. 3 UStAE abschaffen. Dies wäre für zukünftige Rechnungstellungen zu beachten.

Für die Vergangenheit gewährt § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO Vertrauensschutz. Dies gilt allerdings nur für Besteuerungszeiträume, für die der Steuerpflichtige bereits Umsatzsteuer-Jahreserklärungen abgegeben hat. Wurden bisher nur Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben, greift diese Schutzwirkung nicht.

Die Finanzverwaltung akzeptiert aktuell, dass Rechnungen das Postfach oder die Großkundenadresse des Leistungsempfängers nennen. Sollte sie Abschn. 14.5 Abs. 2 S. 3 UStAE abschaffen, wird sie wohl schon aus Vertrauensschutzgründen eine Nichtbeanstandungsregelung für die Vergangenheit erlassen. Unternehmen, die Rechnungen über Postfächer oder Großkundenadressen empfangen, sollten dennoch bereits jetzt prüfen, ob die Rechnungsanschrift proaktiv an die Rechtsprechung des BFH angepasst werden kann.

Der BFH wird in Kürze Gelegenheit haben, sich nochmals mit der Problemstellung auseinanderzusetzen. Das FG Köln gewährte in einem Urteil vom 28.04.2015 (Az.: 10 K 3803/13) den Vorsteuerabzug aus Rechnungen, die einen „Briefkastensitz“ des Leistenden enthielten. Als Gründe nannte das FG die technische Fortentwicklung und die Änderung von Geschäftsgebaren. Auch sei das Kriterium der „geschäftlichen Aktivitäten“ zu unbestimmt. Das FG Köln ließ die Revision zu (Az. beim BFH: V R 25/15).

Matthias Luther 

Ansprechpartner:

Matthias Luther
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Stand: 28.10.2015