Umsatzsteuer Newsletter 04/2017
Hoffnung für Konzerne bei der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft
Insbesondere in Konzernen ist es problematisch, die organisatorische Eingliederung für eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft herzustellen. Zuletzt hat der V. Senat dieses Merkmal weiter sehr strikt interpretiert. Hiervon weicht nunmehr der XI. Senat ab. Auch ohne Personenidentität kann die organisatorische Eingliederung vorliegen. So können insbesondere Weisungsrechte der Gesellschafterversammlung sowie des Geschäftsführers der Muttergesellschaft gegenüber dem Geschäftsführer der Tochtergesellschaft ausreichend sein.

1.    Sachverhalt – BFH, Urt. v. 12.10.2016 – XI R 30/14
Im Streitjahr waren Vater (V) zu 90 % und Mutter (M) zu 10 % an der F-GmbH beteiligt. Geschäftsführer der F GmbH war V. Die F-GmbH war ihrerseits zu 100 % an der A GmbH beteiligt. Deren Geschäftsführer war ebenfalls V. Außerdem war die F-GmbH zu 100 % an der Klägerin beteiligt. Deren alleiniger Geschäftsführer auf Grundlage eines Anstellungsvertrags ohne festes Monatsgehalt war der Sohn (S) von V und M. V war bei der B-GmbH angestellt und bezog von ihr ein Gehalt.

S hatte Weisungen der Gesellschafterversammlung sowie des Geschäftsführers der A-GmbH (= V) zu befolgen. Er bedurfte für Handlungen, die über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes der Klägerin hinausgingen, der Einwilligung der Gesellschafterversammlung. Tatsächlich kümmerte S sich nicht um die Geschäfte des Firmenkomplexes der Familie. Diese überließ er ohne Einschränkungen dem V. Faktisch hat daher V die Geschäfte der B GmbH geleitet. Fraglich war, ob die B-GmbH mit der F-GmbH eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft bildet.

2.    Rechtliche Würdigung des BFH
Zur Begründung einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft bedarf es der finanziellen, wirtschaftlichen sowie organisatorischen Eingliederung der Tochtergesellschaft in das Unternehmen der Muttergesellschaft. Der BFH hat vorliegend insbesondere auch die organisatorische Eingliederung anerkannt. Er hat dafür zunächst die faktische Geschäftsführung durch V bei der B-GmbH für nicht ausreichend gehalten. Wäre diese faktische Geschäftsführung beachtlich gewesen, hätte Personenidentität in den Leitungsgremien der F-GmbH und der B-GmbH bestanden. Dies hätte die organisatorische Eingliederung begründet. Insoweit stimmen beide Senate des BFH sowie die Finanzverwaltung (Abschn. 2.8 Abs. 8 S. 2 UStAE) überein.

Der BFH ist in seinem Urteil weiter davon ausgegangen, dass institutionell abgesicherte unmittelbare Eingriffsmöglichkeiten in den Kernbereich der laufenden Geschäftsführung der Organgesellschaft zur Begründung der organisatorischen Eingliederung genügen. Auch insoweit stimmen beide Senate des BFH und die Finanzverwaltung (Abschn. 2.8 Abs. 10 S. 2 UStAE) überein.

Derartige Eingriffsmöglichkeiten sah der BFH durch die Stellung von V als gegeben an. Er begründete dies mit den Weisungsbefugnissen der Gesellschafterversammlung sowie denjenigen des V als Geschäftsführer der A-GmbH gegenüber S. Hierdurch widerspricht der XI. Senat in seiner Entscheidung – ohne dies zu benennen – der Rechtsprechung des V. Senats. Der V. Senat hat nämlich erst kürzlich entschieden, dass für derartige Eingriffsmöglichkeiten in den Kernbereich der laufenden Geschäftsführung „Weisungsrechte, Berichtspflichten oder ein Zustimmungsvorbehalt zugunsten der Gesellschafterversammlung oder zugunsten des Mehrheitsgesellschafters“ nicht genügen sollen (vgl. Newsletter 03/2016).

Aufgrund eines anderen Aspekts verwies der BFH das Verfahren dann aber doch zurück an das Finanzgericht. Nach gefestigter Rechtsprechung beider Senate des BFH und der Finanzverwaltung (Abschn. 2.8 Abs. 2 S. 2, 6 UStAE) kann nach deutschem Recht nur ein Unternehmer Organträger sein. Wie bereits in einem Urteil zuvor weist der XI. Senat des BFH aber nochmals auf seine (anscheinend vorhandenen) Bedenken hinsichtlich der Europarechtskonformität  dieser Voraussetzung hin. Der V. Senat des BFH sieht die deutsche Regelung hingegen als ausdrücklich europarechtskonform an.

3.    Praxisfolgen
Der XI. Senat widerspricht in seiner Entscheidung in einem insbesondere für Konzerne wesentlichen Merkmal der Rechtsprechung des V. Senats. Die engen Anforderungen des V. Senats sind in mehrstufigen Konzernstrukturen oftmals kaum praktisch umsetzbar. Die Geschäftsführer der Konzernmutter können nicht in sämtlichen Urenkelgesellschaften die laufende Geschäftsführung tatsächlich wahrnehmen. Auch ist dies aufgrund von Haftungsbegrenzungen oder Mitbestimmungsrechten oftmals nicht gewollt. Aus gleichen Gründen kann kein gem. Abschn. 2.8 Abs. 10 S. 4 UStAE zur Begründung institutioneller Eingriffsrechte ausreichender Beherrschungsvertrag geschlossen werden.

Weisungsrechte, ausgeübt durch eine Gesellschafterversammlung oder einen Geschäftsführer der Muttergesellschaft, wie sie der XI. Senat des BFH nunmehr ausreichen lässt, sind hingegen durchaus möglich. Der XI. Senat bestätigt ausdrücklich die Auffassung des UStAE, wonach es sogar ausreicht, wenn der Organträger durch schriftlich fixierte Vereinbarungen (z. B. Geschäftsführerordnung, Konzernrichtlinie) in der Lage ist, gegenüber Dritten seine Entscheidungsbefugnis nachzuweisen und den Geschäftsführer der Organgesellschaft bei Verstößen gegen die Anweisungen des Organträgers haftbar zu machen. Damit nähert sich der BFH wieder etwas mehr der Lebenswirklichkeit an: Denn derjenige Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft, der nicht den Weisungen eines Konzernvorstands folgt, war längste Zeit Geschäftsführer auf dieser Position.

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Thomas Küffner
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer
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Stand: 01.02.2017