Umsatzsteuer Newsletter 08/2017
Kein Vorsteuerabzug bei asymmetrischen Entgelten
Unternehmer ist nur derjenige, der eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne einer nachhaltigen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen gemäß § 2 Abs. 1 UStG ausübt. Der BFH hat mit Urteil vom 15.12.2016, V R 44/15 festgestellt, dass die Unternehmereigenschaft der öffentlichen Hand nicht vorliegt, wenn eine Asymmetrie zwischen den Betriebskosten und den Einnahmen besteht. In diesem Fall liegt gemäß der EuGH-Rechtsprechung Borsele kein Leistungsentgelt und damit auch keine wirtschaftliche Tätigkeit vor. Dieses Urteil kann Auswirkungen nicht nur für die öffentliche Hand, sondern auch für Unternehmer der Privatwirtschaft haben.

1. Hintergrund
Wird eine Leistung unter Selbstkostenpreis angeboten, so kommt es häufig zu Vorsteuerüberhängen. Dadurch sieht sich die Finanzverwaltung oft veranlasst, über die Plausibilität dieses Ergebnisses nachzudenken. Sie sucht deshalb schnell nach Korrekturmöglichkeiten anhand des Umsatzsteuerrechts. Die Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 UStG scheidet aus, wenn es sich nicht um Leistungen an nahe stehende Personen oder an das eigene Personal handelt. Symbolische Entgelte nicht als Entgelt zu betrachten, hat der EuGH in der Rs. Skandia abgelehnt. Die Höhe des Entgelts könne bei der Qualifikation als entgeltlicher Umsatz keine Rolle spielen. Die Hürden zur Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 AO sind in der Umsatzsteuer sehr hoch. Damit bleibt nur noch die Frage, ob überhaupt von einer Unternehmereigenschaft nach § 2 UStG ausgegangen werden kann.
 
2. Sachverhalt
Eine Gemeinde errichtete ein Sportzentrum für ca. 10 Mio. EUR und vermietete diese zu einem monatlichen Mietzins von lediglich 900 EUR an ihre eigene Enkelgesellschaft A GmbH. Später erhöhte die Gemeinde den monatlichen Mietzins auf 6.000 EUR. Da der Betrieb der A GmbH defizitär war, zahlte die Gemeinde einen hohen Verlustausgleich als nicht steuerbaren Zuschuss. Es lag auf der Hand, dass das Finanzamt den Vorsteuerüberschuss so nicht auszahlen wollte. Das Sächsische Finanzgericht sah dies aber anders. Es sprach der A GmbH den Vorsteuerabzug nach § 15 UStG zu, da die Klägerin mit der Verpachtung des Sportzentrums einen Betrieb gewerblicher Art unterhalten hat und der Verlustausgleich weder die Einnahmeerzielungsabsicht entfallen ließ noch zu einer Unentgeltlichkeit geführt hat.

3. Entscheidung des BFH
Der BFH entschied zugunsten des Finanzamts. Zwischenzeitlich war die EuGH-Rechtsprechung in der Rs. Borsele ergangen, und vor diesem Hintergrund stellte der BFH die Unternehmereigenschaft der Gemeinde in Frage. Er verwies die Sache an das Finanzgericht zur Klärung des Sachverhalts zurück. Der BFH prüfte die Unternehmereigenschaft der Gemeinde zutreffend nicht nach § 2 Abs. 3 UStG (neu: § 2b UStG). Er setzte bereits einen Schritt vorher an und stellte sich die Frage, ob überhaupt eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.v. § 2 Abs. 1 UStG vorliegt. Denn dies ist die Grundvoraussetzung für die Annahme einer unternehmerischen Tätigkeit und damit das Recht zum Vorsteuerabzug. Der EuGH hatte in der Rs. Borsele die Vorgabe gemacht, dass eine unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit nicht gegeben ist, wenn eine Gemeinde über die vereinnahmten Beträge nur einen kleinen Teil der Kosten deckt. Werden die Kosten nur zu 3 % aus Einnahmen und im Übrigen mit öffentlichen Mitteln finanziert, deutet diese Asymmetrie zwischen den Kosten und den als Gegenleistung erhaltenen Beträgen darauf hin, dass kein Leistungsentgelt und damit auch keine wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt. Das Finanzgericht müsse insbesondere folgende Aspekte prüfen:

Liegt eine Asymmetrie im Sinne des EuGH vor?
Nach meinem Dafürhalten ist die Frage nicht so einfach zu beantworten. Durch die „Asymmetrie“ der Höhe des Entgelts zu den Ausgaben ist die Unternehmereigenschaft nicht zwingend zu verneinen. Im Einzelfall sind sämtliche Gesichtspunkte der konkreten Situation zu berücksichtigen. Dazu gehört auch die wichtige Frage des EuGH, ob die Gemeinde selbst eher als Endverbraucher denn als Unternehmer aufgetreten ist. Sofern die Gemeinde im Falle des eigenen Betriebs des Sportzentrums zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, spricht vieles dafür, dass sie bei Bezug der Leistungen nicht als Endverbraucher gelten kann.

Sind Pacht und Verlustausgleich zu saldieren?
Der BFH stellt diese Saldierung in den Raum, wenn Pacht und Verlustausgleich auf einer einheitlichen vertraglichen Grundlage beruhen. In diesem Fall hätte die Gemeinde mangels Entgelt keine steuerpflichtigen Umsätze. Sie wäre damit nicht Unternehmer und so auch nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Der BFH will hier offenbar an die körperschaftsteuerliche Rechtsprechung zu BgAs anknüpfen (vgl. R 4.3. KStR).

4. Auswirkungen in der Praxis
Mit diesem Urteil stellt der BFH fest, dass er die Rechtsprechung des EuGH in der Rs. Borsele angewandt haben möchte. Viele Fragen bleiben aber offen. Die öffentliche Hand wird zukünftig genau überlegen müssen, wie sie Sachverhalte bei Verpachtung dauerdefizitärer Einrichtungen gestaltet. Das Urteil eröffnet allerdings auch Gestaltungsspielräume. Denn die meisten juristischen Personen des öffentlichen Rechts wollen die Steuerpflicht vermeiden. Zukünftig wird das unter dem Regelungsregime des § 2b UStG schwieriger. Die neue Rechtsprechung ist daher interessant, da sie bei sehr geringen Entgelten die Grundvoraussetzung „wirtschaftliche“ Tätigkeit in Frage stellt. Für Unternehmen der Privatwirtschaft hat das Urteil jedoch ebenso Bedeutung (vgl. dazu auch EuGH-Urteil Lajver). Es muss sich geradezu aufdrängen, dass das Unternehmen mehr als Endverbraucher denn als Unternehmer aufgetreten ist. Ein solcher Nachweis wird der Finanzbehörde in den seltensten Fällen gelingen.

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Thomas Küffner
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer
Tel.: 089 / 217 50 12 - 30
thomas.kueffner@kmlz.de

Stand: 28.03.2017