Umsatzsteuer Newsletter 02/2013
Umsatzsteuerkarussell beim Handel mit Emissionszertifikaten
Spätestens seit der Durchsuchung der Deutschen Bank in Frankfurt am Main im Dezember 2012 ist der Umsatzsteuer-Karussellbetrug mit Emissionszertifikaten wieder in aller Munde. Insgesamt wurden hier Umsatzsteuern in Höhe von mehr als 260 Mio. EUR hinterzogen. Das Landgericht Frankfurt am Main hat in einem ersten Urteil sechs Angeklagte zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Der Bundesgerichtshof hat die Revisionen der Angeklagten verworfen. Weitere Strafverfahren stehen noch aus.


1.    
Landgericht Frankfurt: Langjährige Haftstrafen

Laut einer Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 14.1.2013 hat das Landgericht Frankfurt am Main sechs Angeklagte wegen Steuerhinterziehung in mehreren Fällen zu Haftstraften zwischen vier und sieben Jahren verurteilt. Gegenstand des Verfahrens ist ein international operierendes Umsatzsteuerhinterziehungssystem im Handel mit Emissionszertifikaten, bei dem Umsatzsteuern in einer Gesamthöhe von mehr als 260 Mio. EUR hinterzogen
wurden.

2.     Europäisches Emissionshandelssystem

Nach dem europäischen Emissionshandelssystem werden den Betreibern genehmigungspflichtiger Anlagen für definierte Handelsperioden bestimmte Mengen an Emissionsberechtigungen (sog. Emissionszertifikate) zugeteilt. Dieses System basiert auf einer europäischen Richtlinie. Die bei nationalen Registrierstellen (in Deutschland bei der Deutschen Emissionshandelsstelle) ausschließlich elektronisch geführten Emissionszertifikate berechtigen einen Anlagenbetreiber zur Emittierung von CO2 oder anderer Treibhausgase. Diese Zertifikate können auch verkauft werden. Der Handel kann u. a. online über bei den nationalen Registrierstellen bestehende elektronische Emissionshandelskonten erfolgen. Hierdurch ist ohne großen Aufwand die sekundenschnelle (buchmäßige) Übertragung auch großer Zertifikate­mengen im Wert von mehreren Millionen Euro möglich. Ein

Unternehmer, der mit solchen Zertifikaten handelt, konnte seine eigene Umsatzsteuerzahllast verringern oder sogar Steuervergütungen bewirken, indem er in den von ihm abzugebenden Umsatzsteueranmeldungen die in den Rechnungen der Verkäufer ausgewiesene Umsatzsteuer gemäß § 15 UStG als Vorsteuer geltend machte.

3.     Umsatzsteuerkarussell

Die Betrugsanfälligkeit dieses (früheren) Systems haben sich die Angeklagten zu Nutze gemacht. Sie etablierten ein aus anderen Handelsbereichen bereits bekanntes Umsatzsteuerhinterziehungssystem: In einer hintereinander geschalteten Leistungskette von Verkäufern und Käufern wird das Emissionszertifikat aus einem anderen EU-Mitglied­staat zunächst an einen ersten inländischen Erwerber (den sog. „Missing Trader“) verkauft. Dieser verkauft das Zertifikat mit einem geringen Aufschlag an einen Zwischenhändler (den sog. „Buffer“) weiter. Es können auch mehrere Buffer zwischengeschaltet sein. Der (letzte) Buffer verkauft das Zertifikat – wiederum mit einem geringen Preisaufschlag – schließlich an den letzten inländischen Erwerber der Leistungskette (den sog. „Distributor“).

Das Hinterziehungssystem der Angeklagten war für diese deshalb lukrativ, weil der Missing Trader keine Umsatzsteuer abführte und so dem Buffer einen Gewinn in Höhe seines Preisaufschlags ermöglichte. Es ging wie folgt vonstatten: Der Missing Trader stellt dem Buffer eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis. Die aus dem Weiterverkauf von ihm zu entrichtende Umsatzsteuer führt er allerdings plangemäß nicht ab. Seine tatsächlichen Umsätze verheimlicht er den Finanzbehörden; in der Regel verschwindet er nach kurzer Zeit vom Markt (deswegen die Bezeichnung „Missing Trader“). Der Buffer nutzt die in der Rechnung des Missing Traders ausgewiesene Umsatzsteuer zum Vorsteuerabzug. Die in der Rechnung des Buffers ausgewiesene Umsatzsteuer macht dann der Distributor als Vorsteuer geltend.

Nach den Feststellungen des Landgerichts handelten die Angeklagten teils als Missing Trader, teils als Buffer. Die Missing-Trader gaben zwar Umsatzsteueranmeldungen ab, „neutralisierten“ aber ihre Steuerzahllast, indem sie Vorsteuern aus Scheinrechnungen (von Firmen ohne Leistungserbringung) gegenrechneten. Die Buffer machten jeweils Vorsteuern aus den ihnen vom Missing Trader gestellten Rechnungen mit Umsatzsteuerausweis geltend. Distributor war nach den Feststellungen des Landgerichts in den verfahrensgegenständlichen Fällen eine deutsche Großbank. Diese erwarb Emissionszertifikate von den Buffern in der Weise, dass ein Mitarbeiter dieser Bank jeweils mitteilte, welche Zertifikatmengen die Bank zu welchen Preisen ankaufen würde. Dann fragte der Buffer bei seinen Lieferanten nach. Der Ankauf erfolgte erst, nachdem der Weiterverkauf gesichert war. Zahlungen an seine Lieferanten leistete der Buffer erst dann, nachdem er seinerseits den Kaufpreis vereinnahmt hatte.

4.     Verurteilung wegen Steuerhinterziehung

Das Landgericht Frankfurt am Main hat hinsichtlich der für die jeweiligen Firmen abgegebenen Umsatzsteueranmeldungen den Tatbestand der vorsätzlichen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) bejaht. Es sah in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 08.02.2011 – 1 StR 24/10) die aus Rechnungen der vermeintlichen „Lieferanten“ geltend gemachte Vorsteuer in einer Gesamthöhe von mehr als 260 Mio. EUR als hinterzo

gen an, weil eine Vorsteuerabzugsberechtigung nicht bestanden habe: Soweit es sich nicht ohnehin um Scheinrechnungen nicht existierender Firmen handelte, sei eine Vorsteuerabzugsberechtigung nach § 15 UStG deshalb nicht gegeben, weil es an einer unternehmerischen Tätigkeit von Rechnungssteller und -empfänger fehlte. Alle Angeklagten hätten die Möglichkeit einer Einbindung in eine Hinterziehungskette erkannt, wegen persönlicher Vorteile aber gleichwohl gehandelt.

5.     BGH verwirft Revision

Der BGH hat die Revisionen der Angeklagten mit Beschluss vom 21.11.2012, 1 StR 391/12, als unbegründet verworfen. Die Nachprüfung des Urteils habe keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Insbesondere stehe es einer vollendeten Steuerhinterziehung nicht entgegen, dass die Finanzbehörden – wie mit einem Beweisantrag behauptet wurde – zwar einen Tatverdacht hatten, gleichwohl aber aus ermittlungstaktischen Gründen (um den Erfolg der äußerst umfangreichen Ermittlungen zur Aufdeckung und Zerschlagung eines groß angelegten Umsatzsteuerhinterziehungssystems nicht zu gefährden) Steuervergütungen gemäß § 168 Satz 2 AO zugestimmt haben. Denn Straftäter hätten keinen Anspruch darauf, dass die Finanz- oder die Ermittlungsbehörden so rechtzeitig gegen sie einschreiten, dass der Eintritt des Taterfolgs verhindert wird (Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 14.01.2013).

6.     Besonderheiten bei Steueranmeldungen

Sowohl bei den Umsatzsteuer-Voranmeldungen als auch bei der Umsatzsteuer-Jahreserklärung handelt es sich um Steueranmeldungen. Nach § 168 Satz 1 AO steht eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Mit Abgabe einer Umsatzsteuer-Voranmeldung oder -Jahreserklärung richtet der Unternehmer quasi automatisch einen „Steuerbescheid gegen sich selbst“. Kommt es jedoch zu einem Vorsteuerüberhang, findet der Automatismus sein Ende: Nach § 168 Satz 2 AO kommt es erst dann zu einer Steuerfestsetzung, wenn die

Finanzbehörde zustimmt. Die Zustimmung bedarf nach § 168 Satz 3 AO keiner Form, sodass in der Auszahlung des Vorsteuerüberhangs die Zustimmung zu sehen ist. Will das Finanzamt der Steueranmeldung nicht zustimmen, setzt es die Steuer nach § 167 Abs. 1 Satz 1 AO abweichend von der Steueranmeldung fest.

7.     Kritik an der BGH-Rechtsprechung

Die Annahme einer vollendeten Steuerhinterziehung durch den BGH, obwohl die Finanzbehörden von dem zugrunde liegenden Sachverhalt Kenntnis hatten, mag in den Fällen des § 168 Satz 1 AO noch nachvollziehbar erscheinen. Nicht unbedenklich ist diese Argumentation jedoch, wenn die Finanzämter Vorsteuerüberhänge im Sinne von § 168 Satz 2 AO ausbezahlen, obwohl sie detailliert Kenntnis bezüglich etwaiger Steuerhinterziehungsaktivitäten besitzen. Durch die Auszahlung der Vorsteuerüberhänge suggerieren die Finanzbehörden den beteiligten Unternehmern, ihre Geschäftsaktivitäten seien steuerrechtlich als unbedenklich einzustufen. Kommt zu der fortlaufenden Auszahlung von Vorsteuer­guthaben noch die Ausstellung von steuerlichen Unbedenklichkeitsbescheinigungen hinzu, leiten die Behörden die betreffenden Unternehmer „sehenden Auges“ weiter in die falsche Richtung. Natürlich dürfen Unternehmer, die vorsätzlich oder grob fahrlässig an einem Umsatzsteuer-Betrugskarussell beteiligt sind, keinen besonderen Schutz genießen. Anders sieht es jedoch aus, wenn gutgläubige Unternehmer unwissentlich in ein Karussell hineingeraten und das Finanzamt trotz besseren Wissens seine Zustimmung erteilt.

8.     Seit 1.7.2010: Reverse-Charge-Verfahren

Der deutsche Gesetzgeber hat auf den Umsatzsteuerbetrug relativ schnell mit der Ausdehnung des Reverse-Charge-Verfahrens auf die Umsätze mit Emissionszertifikaten reagiert. Mit dem EU-Umsetzungsgesetz wurde zum 01.07.2010 eine neue Nr. 6 in § 13b Abs. 2 UStG eingeführt. Damit wird der Übergang der Schuldnerschaft auf den Leistungsempfänger auf den Handel mit Emissionszertifikaten erweitert, wenn der Leistungsempfänger Unternehmer ist. Ein Umsatzsteuerbetrug ist seitdem nicht mehr möglich, denn nun fallen Umsatzsteuerschuld und Vorsteuerabzug zusammen.

Ansprechpartner:

Dr. Oliver Zugmaier
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
Tel.: 089 / 217 50 12 - 60

Stand: 25.01.2013