Umsatzsteuer Newsletter 03/2014
Keine Steuerhinterziehung bei Kenntniserlangung von Einbindung in Umsatzsteuerkarussell nach Leistungsbezug
Der BGH hat entschieden: Das Vorsteuerabzugsrecht entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Lieferung oder sonstige Leistung bewirkt wird. Es ist zu versagen, wenn der Leistungsempfänger im Zeitpunkt des Leistungsbezugs wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit dem Leistungsbezug an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist. Demgegenüber entfällt das Vorsteuerabzugsrecht nicht rückwirkend, wenn der Leistungsempfänger eine Leistung „in gutem Glauben“ bezieht und erst nachträglich deren Einbeziehung in eine Umsatzsteuerhinterziehung erkennt. Auch eine Berichtigungspflicht ergibt sich dann nicht. Dies ergibt sich aus dem Beschluss des BGH vom 01.10.2013, 1 StR 312/13, und wurde bestätigt durch Beschluss des BGH vom 05.02.2014, 1 StR 422/13.


1. Sachverhalt

Der Angeklagte (A) war als sog. Buffer in ein Umsatzsteuerhinterziehungssystem eingebunden, in dem Flachbildfernseher mehrfach unter den Beteiligten verkauft wurden. A wurde vorgeworfen, aus dem Einkauf der Flachbildfernseher unzulässiger Weise den Vorsteuerabzug vorgenommen zu haben. Die Besonderheit des Falles bestand darin, dass A teilweise erst nach Ausführung der Umsätze Kenntnis von seiner Einbeziehung in das Umsatzsteuerhinterziehungssystem erlangte: In diesen Fällen war A im Zeitpunkt des Bezugs der Lieferungen gutgläubig und wurde erst nach diesem Zeitpunkt und vor Einreichung der Umsatzsteuerdeklarationen „bösgläubig“.

2. Steuerhinterziehung nur bei „Bösgläubigkeit“ im Zeitpunkt des Leistungsbezugs

Der BGH stellt zunächst fest: Steuerstrafrechtlich maßgeblich für das Vorsteuerabzugsrecht ist der Zeitpunkt des Leistungsbezugs und nicht der Zeitpunkt der Abgabe der Steueranmeldung. Es kommt demnach auf das Vorstellungsbild des Steuerpflichtigen beim Warenbezug und nicht auf dessen Vorstellungsbild bei Einreichung der Steueranmeldung an. Eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung kommt nur in Betracht, wenn der Steuerpflichtige im Zeitpunkt des Leistungsbezugs weiß oder bedingt vorsätzlich für möglich hält, dass er umsatzsteuerbetrugsbehaftete Ware erwirbt.

3. Einmal entstandenes Vorsteuerabzugsrecht entfällt nicht rückwirkend

Der BGH begründet seine Entscheidung mit den Regelungen der MwStSystRL. Nach Art. 167 der MwStSystRL entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht. Dies ist nach Art. 63 der MwStSystRL bereits dann der Fall, wenn die Lieferung oder die Dienstleistung bewirkt ist. Hieraus folgt nach dem Beschluss des BGH, dass das Vorsteuerabzugsrecht nicht rückwirkend entfällt, wenn der Leistungsempfänger eine Leistung „in gutem Glauben“ bezieht und erst nachträglich deren Einbeziehung in eine Umsatzsteuerhinterziehung erkennt. Auch in anderen Entscheidungen orientiert sich der BGH eng an den Grundsätzen der MwStSystRL: Beispielsweise in seinem Beschluss vom 04.09.2013 – 1 StR 374/13 zur sofortigen Entstehung und Abzugsfähigkeit der Einfuhrumsatzsteuer.

4. Keine Berichtigungspflicht bei erst nachträglicher Kenntnis von Umsatzsteuerhinterziehung

Auch einen Verstoß gegen die Berichtigungspflicht nach § 153 AO lehnte der BGH ab. Dies hatte die Vorinstanz noch anders beurteilt: Nach dem Urteil des Landgerichts sei A zwar im Zeitpunkt der Einreichung der Umsatzsteuervoranmeldung Januar 2010 gutgläubig gewesen, jedoch habe er nachträglich die Einbindung in den Umsatzsteuerhinterziehungssachverhalt erkannt. Da er seiner Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO vorsätzlich nicht nachgekommen sei, habe er sich nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen strafbar gemacht. Auch diese Begründung des Landgerichts stuft der BGH als rechtsfehlerhaft ein: In konsequenter Anwendung der zuvor aufgestellten Grundsätze argumentiert der BGH, die durch A eingereichte Umsatzsteuervoranmeldung Januar 2010 sei nur dann unrichtig gewesen, wenn A bereits bei Warenbezug bösgläubig gewesen sei. Eben dies sei den Feststellungen des Landgerichts jedoch nicht zu entnehmen, so dass auch eine Bestrafung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO ausscheide.

5. BGH-Beschluss erhöht die Rechtssicherheit

Der Beschluss des BGH erhöht die Rechtssicherheit für Steuerpflichtige und Berater: Zum einen steht fest, dass der steuerstrafrechtlich maßgebliche Zeitpunkt für das Vorsteuerabzugsrecht der Zeitpunkt des Leistungsbezugs und nicht der Zeitpunkt der Abgabe der Steueranmeldung ist. Zum anderen „entfällt“ das Recht des Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug auch dann nicht rückwirkend, wenn er nach dem Zeitpunkt des Leistungsbezugs Kenntnis von Umsatzsteuerhinterziehungssachverhalten erlangt. Eben hier bestand bislang eine hohe Rechtsunsicherheit: Aus diesem Grund wurde bislang in der Praxis bei nachträglicher Bösgläubigkeit – zur Vermeidung einer potenziellen Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 153 AO– eine Berichtigung nach § 153 AO durchgeführt. Dies ist nun nicht mehr erforderlich.

Ansprechpartner:

Dr. Daniel Kaiser
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Stand: 11.03.2014