Umsatzsteuer Newsletter 06/2015
Vertrauensschutz bei innergemeinschaftlichen Lieferungen
Die Finanzverwaltung versagt Unternehmern häufig die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung mit dem Vorwurf, diese seien im Hinblick auf zugrunde liegende Steuerhinterziehungen bösgläubig gewesen. Auch im Rahmen des vorliegenden BFH-Verfahrens führte die Finanzverwaltung zahlreiche aus ihrer Sicht belastende Indizien, u.a. den Vorwurf einer Scheinfirma und nicht beachtete Sorgfaltspflichten an. Der Kläger ging hiergegen vor und war beim BFH zu großen Teilen erfolgreich.

1. Sachverhalt des Urteils XI R 37/12
Die in Deutschland ansässige Klägerin (K) lieferte hochwertige PKWs – Ferraris und Mercedes ML – an die österrechischen Unternehmen A und C sowie an das spanische Unternehmen B. K behandelte die Lieferungen als innergemeinschaftlich steuerfrei und wies in den Rechnungen den Kaufpreis mit „Exportpreis netto“ aus. Beigefügt war den Rechnungen eine „Anlage zur Rechnung“, welche den Hinweis „Bestätigung innergemeinschaftlicher Lieferung“ enthielt.
 
2. Finanzverwaltung führt typische Umstände für die Versagung der Steuerfreiheit an
Im Rahmen eines gegen A in Österreich geführten Strafverfahrens stellte sich heraus, dass A den PKW entgegen seiner Zusicherung nicht nach Österreich verbracht hatte. Der für B bestimmte PKW wurde durch eine Spedition nach Spanien transportiert, wurde dort jedoch nicht auf B, sondern auf ein anderes spanische Unternehmen zugelassen. Den von C erworbenen PKW verbrachte K selbst nach Österreich. Ein Auskunftsersuchen beim Bundeszentralamt für Steuern ergab, dass das Unternehmen des C durch die österreichischen Behörden als Gesellschaft „ohne wirtschaftliche Tätigkeit“ eingestuft wurde. Insbesondere verfüge C nicht über die für einen Händler hochwertiger PKWs übliche Infrastruktur, sondern lediglich über eine kleine Halle zur Zwischenlagerung sowie ein Büro in einer Wohnung.

3. Revision beim BFH überwiegend erfolgreich  
Die Finanzverwaltung versagte für alle drei Lieferungen die Steuerfreiheit, das Finanzgericht gab K dagegen vollumfänglich Recht. Die Revision des Finanzamtes hatte im Ergebnis lediglich bezüglich der Lieferung an B Erfolg, im Übrigen bestätigte der BFH die Entscheidung des Finanzgerichts.

4. Rechnung und Anlage als einheitliches Rechnungsdokument
Im Ergebnis gewährte der BFH K bezüglich der Lieferung an A die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung aufgrund der Vertrauensschutzregelung des § 6a Abs. 4 UStG. Zunächst bejahte der BFH das Vorliegen eines ordnungsgemäßen Buch- und Belegnachweises, nur in diesem Fall kommt Vertrauensschutz in Betracht. Die Rechnungen entsprächen im Ergebnis den Anforderungen der §§ 14, 14a UStG, da die Rechnungen sowie die Anlagen zu den Rechnungen aufgrund ihres engen Bezugs zueinander als ein heitliches Dokument und damit in ihrer Gesamtheit als Rechnung einzustufen seien. 

5. Vertrauensschutz nur bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns
Laut BFH war die Annahme des Finanzgerichts, K habe bezüglich der Lieferung an A die für den Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG erforderliche „Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns“ beachtet, nicht zu beanstanden. Das Finanzgericht hatte seine Würdigung, K habe die mögliche Unrichtigkeit der von A zum Bestimmungsort gemachten Angaben nicht erkennen können, insbesondere darauf gestützt, dass K eine qualifizierte Bestätigungsabfrage nach § 18e UStG bezüglich der Gültigkeit der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des A durchgeführt habe.

6. Auch Zwischenhändler mit geringer betrieblicher Infrastruktur ist keine Scheinfirma
Die Lieferung an C stufte der BFH im Ergebnis als nach § 6a Abs. 1 UStG steuerfrei ein. Der BFH führt aus, es sei für die Annahme der Unternehmereigenschaft eines Erwerbers ausreichend, dass dieser als Zwischenhändler lediglich über eine kleine Zwischenlagerungshalle und ein Büro in einer Wohnung verfüge. Insbesondere führe auch die Nichtdeklaration der innergemeinschaftlichen Erwerbe durch C in Österreich nicht zu der Annahme einer Scheinfirma. Der BFH bestätigte in diesem Zusammenhang erneut, dass die tatsächliche Durchführung der Erwerbsbesteuerung im Bestimmungsmitgliedstaat keine Voraussetzung für die Steuerfreiheit ist. 

7. Keine Steuerhinterziehung im Rahmen eines  „Verschleierungsfalls“ 
Zugleich verneinte der BFH einen „Verschleierungsfall“ im Sinne der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache R. In der Rechtssache R hatte der EuGH nach Vorlage des BGH entschieden, dass die Täuschung über die Identität des Abnehmers ein Sonderfall sei, bei dem das Recht des Objektivnachweises einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung nicht besteht. Der BGH bejaht bei Verschleierungsfällen im Sinne der Rechtssache R das Vorliegen einer Steuerhinterziehung.

8. Identitätsfeststellung des Abnehmers erforderlich 
Die Lieferung an B stufte der BFH im Ergebnis als steuerpflichtig ein. So sei für die Steuerfreiheit die Feststellung der Identität des Abnehmers erforderlich. Diese könne nicht dadurch ersetzt werden, dass die Lieferung im Bestimmungsmitgliedstaat als solche der Erwerbsbesteuerung unterliege. Nicht ausreichend war damit vorliegend die Zulassung des PKW in Spanien auf eine andere – nicht bekannte - Person als B. Die Vorgaben des BFH zur Feststellung der Identität des Abnehmers gehen zu weit und sind insbesondere nicht mit dem jüngsten Urteil des EuGH v. 9.10.2014 - C-492/13 vereinbar.

9. Hinweis für die Praxis
Nach dem Urteil des BFH sind für das Vorliegen einer Scheinfirma detailliierte Feststellungen erforderlich, pauschale Behauptungen der  Ermittlungsbehörden genügen hierfür nicht. Unternehmen sollten das Urteil nutzen, um gegen etwaige steuerstrafrechtliche Vorwürfe bereits auf der Ebene des objektiven Tatbestandes vorzugehen. Im Übrigen kann nur durch eine  sorgfältige Überprüfung der Vertragspartner sowie Dokumentation derselben die Beachtung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten dokumentiert und so der Gefahr der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens vorgebeugt werden.

Ansprechpartner:

Dr. Daniel Kaiser
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
Tel.: 089 / 217 50 12 - 62
daniel.kaiser@kmlz.de

Stand: 20.02.2015