Umsatzsteuer Newsletter 09/2015
Auch in der Privatklinik fällt keine Umsatzsteuer an!
Wenn die Voraussetzungen gemäß dem Wortlaut einer nationalen Steuerbefreiungsnorm des § 4 UStG nicht vorliegen, versagen deutsche Finanzämter regelmäßig die Steuerbefreiung. Das europäische Recht wird dabei nicht berücksichtigt. Der BFH hat zum wiederholten Male – diesmal für Umsätze von Privatkliniken – eine Steuerbefreiungsnorm der MwStSystRL unmittelbar angewandt. Die Umsätze von Privatkliniken sind, unabhängig von sozialversicherungsrechtlichen Zulassungen, steuerfrei.

1. Problemstellung
§ 4 Nr. 14 Buchst. b S. 2 Doppelbuchst. aa UStG befreit die Krankenhausbehandlungen von nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhäusern von der Umsatzsteuer. Der BFH hat entschieden, dass diese deutsche Steuerbefreiungsnorm zu eng gefasst ist. Eine Zulassung nach § 108 SGB V darf keine zwingende Voraussetzung für die Steuerfreiheit von Krankenhausumsätzen sein. Dies verstieße gegen das europarechtliche Gleichbehandlungsgebot.

2. Sachverhalt des Urteils vom 25.02.2015 – V R 20/14
Eine GmbH betrieb im Jahr 2009 eine Privatklinik für Psychotherapie. Sie erbrachte Leistungen der Krankenpflege, der Versorgung mit Arzneimitteln sowie der Unterkunft und Verpflegung. Das Krankenhaus war nicht nach § 108 SGB V anerkannt. Anerkennung nach § 108 SGB V finden Hochschulkliniken, Plankrankenhäuser und Krankenhäuser, die einen Versorgungsvertrag mit einem Kassenverband haben. Krankenkassen und Beihilfestellen haben etwa 35 % der Kosten für Leistungen der Klägerin übernommen. Durch die fehlende Anerkennung nach § 108 SGB V waren die Umsätze der GmbH nicht gem. § 4 Nr. 14 Buchst. b S. 2 Doppelbuchst. aa UStG steuerfrei.

3. Entscheidung des BFH
Der BFH hat entschieden, dass die Umsätze der Privatklinik gem. Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL steuerfrei sind. Entscheidende Frage war, ob die GmbH eine „anerkannte Einrichtung“ ist. Unter Bezugnahme auf den EuGH nennt der BFH bei Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL drei Merkmale, anhand derer die Anerkennung zu prüfen ist:

1. Gemeinwohlinteresse der Tätigkeit
2. Andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten kommen in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung
3. Kostenübernahme durch Sozialträger

Dabei müssen nicht alle drei Merkmale vorliegen. Es ist eine Gesamtschau vorzunehmen. Die Steuerbefreiung ist regelmäßig nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil Sozialträger die Kosten nicht erstatten. Eine fehlende Kostenerstattung kann dadurch aufgewogen werden, dass andere Wirtschaftsteilnehmer in vergleichbaren Situationen von der Steuer befreit sind. Eine Genehmigung der Tätigkeit ist ein Indiz für die Anerkennung des Steuerpflichtigen.

Der Bedarfsvorbehalt des § 108 SGB V ist als Kriterium der Kontingentierung umsatzsteuerrechtlich nicht maßgeblich. Dieses Kriterium ist der Richtlinie nicht zu entnehmen und verstößt gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Der Behandlungsanspruch gesetzlich Versicherter, der aus der Anerkennung nach § 108 SGB V folgt, rechtfertigt keine andere Auslegung. Die Vergleichbarkeit von Leistungen bezieht sich auf den Leistungsinhalt. Sie dient nicht der Rechtfertigung von Zulassungsbeschränkungen.

4. Hinweise für die Praxis
Der BFH erkennt in ständiger Rechtsprechung an, dass die in Art. 132 MwStSystRL genannten Steuerbefreiungen unmittelbar angewandt werden können. Ein Unternehmer, der die sachlichen oder persönlichen Voraussetzungen einer deutschen Steuerbefreiungsnorm des § 4 UStG nicht erfüllt, sollte daher prüfen, ob er die Bedingungen des europäischen Rechts erfüllt. Wie sich an einer Vielzahl von Urteilen zeigt, hat der deutsche Gesetzgeber nationale Steuerbefreiungsvorschriften oft zu eng formuliert. Da das Finanzamt dies häufig nicht sehen will, muss der Unternehmer entsprechende Rechte auf dem Klageweg durchsetzen.

Wichtig für den Unternehmer: Er muss sich nicht auf die europäischen Normen berufen. Anders als die deutschen Steuerbefreiungsvorschriften sind sie für ihn nicht zwingend. Der Nachteil der Steuerbefreiung liegt im korrespondierenden Ausschluss des Vorsteuerabzugs. Ist dem Unternehmer der Vorsteuerabzug wichtiger als steuerfreie Ausgangsleistungen (z. B. bei vielen vorsteuerabzugsberechtigten Kunden), muss er das europäische Recht nicht anwenden. Somit kann er „Rosinen picken“. Dies gilt grundsätzlich auch für die Vergangenheit. Für Betreiber von Privatkliniken eröffnen sich damit neue Spielräume.

Das Merkmal „anerkannte Einrichtung“ nennen auch Art. 132 Abs. 1 Buchst. g, h und i MwStSystRL. In all diesen Normen ist die Anerkennung anhand der Merkmale zu prüfen, die vom BFH angeführt werden. Als zusätzliches Indiz für die Anerkennung nennt der BFH insoweit spezifische, die soziale Sicherheit betreffende Vorschriften. Daher sind die Ausführungen des BFH über den Einzelfall hinaus interessant. Wichtig ist insbesondere, dass auch ohne Kostenerstattung durch Sozialträger eine Steuerbefreiung möglich ist. Erteilte Genehmigungen sind stets ein Indiz für die Anerkennung.

Die Entscheidung des BFH lässt sich möglicherweise auf andere Krankenhausbehandlungen gem. § 4 Nr. 14 Buchst. b S. 2 Doppelbuchst. bb bis gg UStG sowie Leistungen von Einrichtungen gem. § 4 Nr. 14 Buchst. c UStG ausdehnen. Diesen Leistungen ist gemein, dass ihre Steuerbefreiung einen Vertrag mit bzw. eine Zulassung durch die Krankenkassen voraussetzt. Die Unionsrechtswidrigkeit dürfte vorliegen, soweit die Zulassung sich nach dem Bedarf richtet.

Umstritten ist in diesem Zusammenhang schließlich, ob auch Subunternehmer einer anerkannten Einrichtung selbst anerkannt sein können. Hierzu sind Verfahren bei BFH und EuGH anhängig.

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Thomas Küffner
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer
Tel.: 089 / 217 50 12 - 30
thomas.kueffner@kmlz.de

Stand: 17.03.2015