Umsatzsteuer Newsletter 10/2015
Können nur Unternehmer Organträger sein? – Weitere Rechtsfrage nun bei BFH anhängig
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG zu den Voraussetzungen der Organschaft ist enger formuliert als der ihm zugrundeliegende Art. 11 MwStSystRL. Daher berufen sich Unternehmer in vielen Fallgestaltungen auf die für sie günstigeren Regelungen des europäischen Rechts. Auch wenn das Finanzgericht Saarland eine unmittelbare Anwendbarkeit von Art. 11 MwStSystRL im konkreten Fall abgelehnt hat, sollten Unternehmer sich bis zur höchstrichterlichen Klärung weiterhin auf diese Norm berufen.

1. Problemstellung
Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG übt eine juristische Person  eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig aus, wenn sie nach dem Gesamtbild der Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). Das Finanzgericht des Saarlands hatte jetzt zu urteilen, ob ein Nicht-Unternehmer (entgegen dem Wortlaut der Norm) umsatzsteuerrechtlicher Organträger sein kann.
Der EuGH hatte im Jahr 2013 entschieden, dass Art. 11 MwStSystRL es nicht verbietet, nicht steuerpflichtige Personen in eine Organschaft einzubeziehen. Strittig ist seitdem, ob es Nicht-Steuerpflichtigen zwingend möglich sein muss, Teil einer Organschaft zu sein. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob ein Unternehmer sich unmittelbar auf die europäischen Regelungen zur „Mehrwertsteuergruppe“ berufen kann.

2. Sachverhalt des Urteils des FG Saarland
Eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (V), hat die vertragsärztliche Versorgung gem. § 75 Abs. 1 S. 1 SGB V sicherzustellen. Steuerbare Umsätze erbringt sie dabei nicht. Eine GmbH, deren Anteile V zu 100 % hält, übernimmt Aufgaben, die V nach dem SGB V zu gewährleisten hat. Im Wesentlichen stellt die GmbH nicht-ärztliches Personal ein und überlässt es V. Die Löhne und Beiträge zur Sozialversicherung des Personals erstattet V der GmbH. Es besteht Geschäftsführeridentität bei V und der GmbH.

3. Entscheidung des FG Saarland – 1 K 1480/12
Das Finanzgericht hat entschieden, dass die Erstattung der Löhne und Beiträge zur Sozialversicherung eine Gegenleistung für die Überlassung des Personals darstellt. Lediglich im Falle einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft zwischen V und der GmbH läge kein steuerbarer Leistungsaustausch zwischen beiden vor. Dann handelte es sich vielmehr um nicht steuerbare Innenumsätze.

Das Bestehen einer Organschaft hat das Finanzgericht abgelehnt, obwohl die Voraussetzungen der finanziellen, wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung erfüllt waren. Das Gericht begründete dies mit der fehlenden unternehmerischen Tätigkeit von V. Entsprechend dem Wortlaut des deutschen Gesetzes können nur Unternehmer Organträger sein (so auch zuvor bereits das Sächsische Finanzgericht). Der Ausschluss von Nicht-Unternehmern als Organträger sei zur Vermeidung von Steuerumgehungen europarechtlich zulässig.

Aber selbst wenn die deutschen Regelungen zur Organschaft vom Gesetzgeber richtlinienwidrig umgesetzt worden wären, könne die GmbH sich nicht auf das europäische Recht zur Begründung einer Organschaft berufen. Das Finanzgericht hatte Zweifel daran, dass Art. 11 MwStSystRL hinreichend bestimmt ist. Der Steuerpflichtige hätte sonst faktisch ein gesetzlich nicht vorgesehenes Wahlrecht zur Organschaft. Die Organgesellschaft hätte es in der Hand, den Organträger zum Unternehmer „umzuqualifizieren“. Sie würde den Organträger damit ohne sein Wissen erheblichen umsatzsteuerrechtlichen Pflichten aussetzen.

4. Hinweise für die Praxis
Das Urteil des Finanzgerichts Saarland beschäftigt sich mit der Schnittstelle zwischen deutschem und EU-Recht. Seit langer Zeit schon ist umstritten, ob der deutsche Gesetzgeber die EU-Regelungen zur „Mehrwertsteuergruppe“ ordnungsgemäß umgesetzt hat. Der Wortlaut des deutschen Gesetzes ist an mehreren Stellen enger gefasst als die EU-Regelung. Der EuGH hat entschieden, dass der nationale Gesetzgeber Art. 11 MwStSystRL nur „ganz oder gar nicht“ umsetzen darf. Zu Einschränkungen ist der nationale Gesetzgeber nur zur Missbrauchsvermeidung berechtigt.

Da der Einzelne sich nicht unmittelbar auf die europäische Norm berufen dürfe, erteilt das Finanzgericht einem Wahlrecht zur Organschaft durch die „Hintertür“ eine Absage. Die hierfür vorgebrachten Argumente sind allerdings rechtlich zweifelhaft. Aus unserer Sicht sprechen gewichtige Argumente dafür, dass Leistungen der Organgesellschaft an einen Nicht-Unternehmer oder in den nicht-unternehmerischen Bereich ihres Organträgers nicht steuerbare Innenleistungen sind.

Aufgrund der Unterschiede im Wortlaut der deutschen und der europäischen Norm ist daneben noch eine Reihe weiterer Fragen offen:
- Sind auch Leistungen einer Organgesellschaft in den nicht-unternehmerischen Bereich ihres Organträgers nicht steuerbare Innenleistungen?
- Ist eine „Eingliederung“ nötig oder genügt die „enge Verbundenheit“ zweier Gesellschaften?
- Können Personengesellschaften Organgesellschaft sein? Ist dabei zwischen einer GmbH & Co. KG und anderen Personengesellschaften zu differenzieren?
- Fehlt in einer sog. „Patt-Situation“ tatsächlich die organisatorische Verbundenheit?
Bis BFH oder EuGH sich zu den aufgeworfenen Fragen endgültig äußern, sollten sich Unternehmer – wenn dies für sie günstig ist – im Zweifel auf die europarechtliche Rechtslage berufen.

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Thomas Küffner
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer
Tel.: 089 / 217 50 12 - 30
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Stand: 27.03.2015