Umsatzsteuer Newsletter 12/2015
Neuordnung der Reihengeschäfte!?
Im Reihengeschäft gelten neue Maßstäbe. Für die Bestimmung der warenbewegten Lieferung kommt es entscheidend darauf an, zu welchem Zeitpunkt der mittlere Unternehmer dem letzten Abnehmer Verfügungsmacht an der Ware verschafft. Dies gilt auch dann, wenn der letzte Abnehmer in der Reihe die Ware befördert oder versendet. Der Transportauftrag, auf den die deutsche Rechtspraxis bislang entscheidend abgestellt hat, verliert damit seine Bedeutung. Reihengeschäfte müssen auf den Prüfstand.

Der BFH hat am 08.04.2015 zwei wegweisende Urteile zur warenbewegten Lieferung im Reihengeschäft veröffentlicht: XI R 30/13 und XI R 15/14 (Folgeentscheidung in der Rs. VSTR, EuGH, Urt. v. 27.09.2012 – C-587/10).

1. Rechtlicher Hintergrund der Entscheidungen
Seit den Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen Euro Tyre Holding (EuGH, Urt. v. 16.12.2010 – C-430/09) und VSTR war eine rege Diskussion darüber entbrannt, worauf es bei der Bestimmung der bewegten Lieferung im Reihengeschäft ankommt: Auf die Mitteilung des mittleren Unternehmers an den ersten Lieferer, dass er die Ware weiterverkauft, die Verwendung einer bestimmten USt-ID oder auf den Zeitpunkt der Verschaffung der Verfügungsmacht an den letzten Abnehmer.

2. Zentrale Sachverhaltsaspekte der Entscheidungen
Im Urteil XI R 15/14 hat der BFH zu einem Fall entschieden, in dem der mittlere Unternehmer den Transport der Ware beauftragt hat. Im finanzgerichtlichen Verfahren konnte nicht festgestellt werden, wann der letzte Abnehmer C Verfügungsmacht an der Ware erhalten hat.


Im Urteil XI R 30/13 ging es um einen Fall, in dem der letzte Abnehmer C den Transport der Ware beauftragt hat. Zu welchem Zeitpunkt C Verfügungsmacht an der Ware erhalten hat, muss das Finanzgericht im zweiten Rechtsgang noch klären.


3. Kernaussagen des BFH
• Zentrales Kriterium: Zeitpunkt des Übergangs der Verfügungsmacht an letzten Abnehmer
Die bewegte Lieferung ist anhand der Gesamtumstände des Einzelfalls zu bestimmen. Zentrales Kriterium ist dabei der Zeitpunkt, zu dem der letzte Abnehmer Verfügungsmacht an der Ware erhält. Erfolgt dies bereits im Inland, ist die zweite Lieferung die bewegte und damit steuerfreie. Erfolgt dies erst im Anschluss an die grenzüberschreitende Warenbewegung im Ausland, ist die erste Lieferung die bewegte. Eine Mitteilung des mittleren Unternehmers B an den ersten Lieferer, die Ware weiterverkauft zu haben, ist aus Sicht des XI. Senats irrelevant.

• Transportauftrag durch letzten Abnehmer
Das gleiche gilt aus Sicht des BFH sogar dann, wenn der letzte Abnehmer C den Transport der Ware durchführt oder beauftragt. Auch hier ist entscheidend, wann er Verfügungsmacht an der Ware erhalten hat. Der Transportauftrag soll aus Sicht des BFH nicht allein entscheidend sein.

• Abschn. 3.14 Abs. 8 S. 2 UStAE
Abschn. 3.14 Abs. 8 S. 2 UStAE stellt einzig auf den Transport(auftrag) ab. Befördert oder versendet der letzte Abnehmer C die Ware, ist die zweite Lieferung von B an C die bewegte. Diese Regelung ist in dieser Form laut BFH mit der EuGH-Rechtsprechung nicht vereinbar.

• Vermutungsregelung, wenn der mittlere Unternehmer befördert oder versendet
Befördert oder versendet der mittlere Unternehmer und ist nicht aufklärbar, wann der letzte Abnehmer Verfügungsmacht an der Ware erhalten hat, kommt die Vermutungsregelung des § 3 Abs. 6 S. 6 UStG zur Anwendung. Demnach ist grundsätzlich die erste Lieferung die bewegte Lieferung.

• Vermutungsregelung, wenn der letzte Abnehmer befördert oder versendet
Befördert oder versendet der letzte Abnehmer und ist nicht aufklärbar, wann der letzte Abnehmer Verfügungsmacht an der Ware erhalten hat, gilt aus Sicht des XI. Senats ebenfalls die Vermutung, dass die erste Lieferung die bewegte ist.

4. Auswirkungen auf die Praxis
Die Auswirkungen auf das deutsche Verständnis des Reihengeschäfts sind erheblich. Insbesondere die vermeintlich „sichere“ Gestaltung über den Transportauftrag durch den letzten Abnehmer hat nach den Maßstäben des XI. Senats keinen Bestand mehr.

Bis auf Weiteres gelten zwar noch die derzeitigen Verwaltungsanweisungen des UStAE. Eine Anpassung an die Fortentwicklung der Rechtsprechung ist jedoch unumgänglich.

Nach der Richtschnur des XI. Senats wird das entscheidende Kriterium künftig die Verschaffung der Verfügungsmacht an den letzten Abnehmer sein. Sie wird abstrakt als Verschaffung von Substanz, Wert und Ertrag definiert. Schon heute zeichnen sich Schwierigkeiten bei einer praxisgerechten Anwendung ab. Der XI. Senat stellt auf die Gesamtumstände des Einzelfalls ab. Dabei spielen auch Indizien, die auf eine Verschaffung der Verfügungsmacht hindeuten, eine Rolle. So sieht es der XI. Senat als relevant an, was die Parteien vertraglich vereinbart und tatsächlich gelebt haben. Sind nur fremde Dritte an einem Reihengeschäft beteiligt, ist es aus seiner Sicht ein Indiz, wenn die Parteien übereinstimmend eine der Lieferungen als bewegte behandeln. Schon heute sollten Unternehmer auf eine möglichst umfassende Indizienlage hinwirken und insbesondere die Verträge und andere Dokumentationen anpassen. Wichtig sind u. a. Regelungen zum Zeitpunkt des Übergangs der Verfügungsmacht.

Ansprechpartner:

Thomas Streit, LL.M. Eur.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
Telefon: +49 (0) 89 / 2 17 50 12 - 75
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Stand: 14.04.2015